Weniger Fleisch essen, nicht ins Flugzeug steigen, mehr Gebrauchtes kaufen,  das Auto öfter stehen lassen – wer etwas zum Klimaschutz beitragen will, landet schnell bei solchen Tipps. Doch was manche inspiriert, schreckt andere ab – und bringt sie schlimmstenfalls gegen Klimaschutz auf. Die Klimakommunikation müsse dringend umdenken, fordert vor diesem Hintergrund die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

In ihrem Pilotprojekt „Übers Klima sprechen im Quartier“ hat sie ausprobiert, wie man mit strukturell benachteiligten Menschen übers Klima ins Gespräch kommt. Das von der Stiftung Mercator geförderte Projekt basiert auf einer Untersuchung der NGO „More in Common“ aus dem Jahr 2019. In „Die andere deutsche Teilung“ unterscheiden die Autor:innen sechs gesellschaftliche Typen, also Gruppen von Menschen, die sich weniger anhand fester soziodemographischen Merkmale wie Einkommen oder Bildung unterscheiden, sondern vor allem  in ihrem Blick auf die Gesellschaft. Zwei dieser Typen – „die Enttäuschten“ und „die Pragmatischen“ – fassen die Autor:innen unter dem Begriff „das unsichtbare Drittel“ zusammen. Diese Menschen sind eher unpolitisch, sozial wenig eingebunden, haben kaum Erwartungen an die Politik oder sind von ihr enttäuscht. In gesellschaftlichen und politischen Debatten tauchen sie daher kaum auf. Dabei machen sie etwa 30 Prozent der Bevölkerung aus.

Amélie Klöffer vom Projekt "Klima im Quartier" der Verbraucherzentrale NRW

Amélie Klöffer von der Verbraucherzentrale NRW hat das Projekt "Klima im Quartier" als Wissenschaftliche Mitarbeiterin umgesetzt; Foto: VZ NRW

Die Verbraucherzentrale wollte wissen, wie man dieses „unsichtbaren Drittel“ in den Klimadiskurs einbinden kann. Zwischen November 2023 und Oktober 2024 führte das Projektteam fast 200 Gespräche in Neu-Tannenbusch. Das Viertel im Norden von Bonn ist geprägt von Arbeitslosigkeit und sanierungsbedürftigen Wohnblocks. Die Kaufkraft ist niedrig, die Teilhabechancen schlecht. Rund 10.000 Menschen leben dort, die meisten von ihnen haben eine Migrationsgeschichte. Amélie Klöffer hat das Konzept für die Gespräche erarbeitet und viele davon selbst geführt. Ihr Fazit aus der Arbeit in Neu-Tannenbusch: Klimakommunikation muss sich ändern, wenn sie auch die Menschen erreichen will, die mit Klimaschutz bisher kaum Berührungspunkte haben. Acht Erkenntnisse aus dem Projekt:

1. Um das „unsichtbare Drittel“ zu erreichen, braucht es persönliche Kontakte.

Das „unsichtbare Drittel“ ist sozial und politisch schlecht eingebunden und deshalb schwer zu erreichen. Eben deshalb findet man diese Menschen kaum an etablierten sozialen Treffpunkten, in Vereinen oder Initiativen. Um dennoch ins Gespräch zu kommen, kontaktierte die Verbraucherzentrale daher zuerst das Quartiersmanagement in Neu-Tannenbusch. Gemeinsam identifizierten sie Personen, die im Viertel gut vernetzt sind – weil sie zum Beispiel eine Gruppe vertreten oder regelmäßige Treffen organisieren. Aus 22 Erstkontakten mit diesen Multiplikator:innen entstanden 15 Vorgespräche, die zu acht Gesprächsrunden führten. Insgesamt nahmen 77 Personen an diesen Gesprächen teil. Klöffer rechnet die Teilnehmenden zumindest teilweise dem „unsichtbaren Drittel“ zu. Einige äußerten allerdings auch Ansichten, die eher zu anderen Typen aus der Studie von „More in Common“ passten.

2. Schon das Wort „Klimaschutz“ schreckt ab.

Neben den Gesprächsrunden führte die Verbraucherzentrale drei Aktionen im öffentlichen Raum durch: 90 Personen erreichte sie an einem Stand mit Glücksrad, den das Projektteam vor dem zentralen Einkaufszentrum in Tannenbusch aufgebaut hatte, 20 beim Mittagstisch einer Kirchengemeinde und acht bei einer weiteren Aktion vor dem Einkaufszentrum. Um die Menschen zum Verweilen einzuladen, schuf das Projektteam Wohnzimmeratmosphäre – mit Teppichen, Hockern und einem Snack. Dass gerade bei diesem Format so wenige das Gespräch suchten, führt Klöffer unter anderem darauf zurück, dass die Verbraucherzentrale auf einem Schild explizit dazu einlud, über Klimaschutz zu sprechen: „Ich hatte den Eindruck, dass alleine das Wort Klima abschreckt.“ Der spielerische Ansatz mit dem Glücksrad lockte dagegen mehr Menschen an.

3. Das „unsichtbare Drittel“ lebt bereits klimaschonend.

Im Alltag der meisten Menschen, mit denen die Verbraucherzentrale in Neu-Tannenbusch gesprochen hat, scheint Klimaschutz keine große Rolle zu spielen. Dass Ernährung und Klimaschutz zusammenhängen, war beispielsweise den wenigsten bewusst. Dennoch leben viele bereits klimaschonend – wenn auch oft aus anderen Motiven wie etwa finanziellen Zwängen. Die Frauen, die an den Gesprächen teilgenommen haben, sind vor allem zu Fuß oder mit dem ÖPNV unterwegs. Die Jüngeren nutzen auch Verkehrsmittel wie Fahrrad oder E-Roller. Viele der Frauen kochen täglich frisch, nannten klimaschonende Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Reis, Fisch und Nüsse als ihr Lieblingsessen. 

Aus finanziellen Gründen kaufen einige zudem gebrauchte Produkte. Weil einige dieser Verhaltensweisen eher aus der Not heraus entstehen, sind sie unter den Teilnehmenden selbst allerdings nicht unbedingt positiv konnotiert. Viele bevorzugen beispielsweise neue Produkte, wenn sie sich diese leisten können, wollen nicht auf ihr Auto verzichten oder lehnen einen höheren Preis für Fleisch ab.

4. Wir müssen das „unsichtbare Drittel“ nicht zu Verhaltensänderungen motivieren.

Dass das „unsichtbare Drittel“ verhältnismäßig wenig zum Klimawandel beiträgt, aber umso mehr vom Klimawandel betroffen ist, war den meisten Gesprächspartnern der Verbraucherzentrale nicht bewusst. Für Amélie Klöffer ist das nur ein Grund, diese Gruppe nicht zu einem Wandel des eigenen Lebensstils zu animieren: „Ich würde sogar so weit gehen, dass wir uns bei dieser Gruppe komplett von diesem aktivierenden Ansatz verabschieden sollten.“ Das „unsichtbare Drittel“ für Klimaschutz zu begeistern, bedeutet aus ihrer Sicht vor allem, bei dieser Gruppe den Rückhalt für Klimaschutzmaßnahmen zu stärken. Zugespitzt formuliert: Vielleicht müssen die Menschen in Neu-Tannenbusch gar nicht auf das eigene Auto verzichten, aber wir sollten sie für einen Ausbau des ÖPNV oder autofreie Innenstädte begeistern.

5. Klimakommunikation sollte weniger werben und mehr zuhören.

Um diesen Rückhalt aufzubauen, muss „das unsichtbare Drittel“ aus Sicht von Klöffer erst wieder Vertrauen fassen: „Das erreichen wir aber nicht, indem wir weiterhin Werbestrategien fahren und versuchen, den Leuten Klimaschutz zu verkaufen.“ Den Menschen auf Augenhöhe begegnen, ihnen mit echtem Interesse zuhören und sich selbst als lernend begreifen – das sind ihre Forderungen an die Klimakommunikation: „Auch Menschen mit schlechten Teilhabechancen haben Erfahrungen gesammelt, bringen Fähigkeiten mit und sind kreativ. Sie haben durchaus Meinungen, aber die werden oft nicht gehört.“ 

Luftbildaufnahme des Bonner Stadtteils Neu-Tannenbusch

Luftbild von Bonn-Neu-Tannenbusch; Foto: JWohlfahrt/Wikimedia Commons

In der Praxis könne das bedeuten, Verantwortung abzugeben: In Tannenbusch hat die Verbraucherzentrale viele Entscheidungen den Multiplikator:innen überlassen – in der Annahme, dass diese die Menschen aus dem Viertel am besten kennen und daher einschätzen können, was sie brauchen, um sich zu öffnen. In einer Gesprächsrunde, in der nur Väter zusammenkamen, waren die Projektmitarbeiterinnen auf Anregung des Multiplikators, also des Leiters der Väterrunde, beispielsweise gar nicht dabei, damit die Männer „unter sich“ sprechen konnten. Außerdem versuchte das Projektteam, auf die Anliegen der Teilnehmenden einzugehen – auch wenn diese vom Thema wegführten: „Übers Klima zu sprechen bedeutet nicht, dass man die ganze Zeit übers Klima spricht“, sagt Klöffer. „Auf einmal öffnet sich zum Beispiel jemand und erzählt von seiner Einsamkeit. Das muss zugelassen werden, das ist ganz wichtig.“

6. Klimakommunikation sollte differenzieren.

In einer der Gesprächsrunden wurde länger über das Thema Fleisch diskutiert: Den Teilnehmenden – allesamt Frauen mit Migrationsgeschichte – fiel es schwer nachzuvollziehen, warum Fleisch klimaschädlich sein soll. In ihren Herkunftsländern spielt Fleisch aus eigener Tierhaltung eine zentrale Rolle, ist teilweise die einzige zuverlässige Nahrungsquelle. Klöffer wünscht sich, dass Klimakommunikation diese unterschiedlichen Erfahrungsräume stärker bedenkt – und zum Beispiel darauf hinweist, dass es um die industrielle Fleischproduktion geht. 

Dass Klimakommunikation oft am „unsichtbaren Drittel“ vorbeikommuniziert, zeigte sich auch beim Thema Ressourcenschonung: Die Teilnehmenden erzählten, dass sie sich als Kinder dafür geschämt hätten, dass ihre Eltern nur gebrauchte Kleider kaufen konnten. Dass Second Hand nun im Trend und für manche Gruppen sogar ein Statussymbol sei, mache Gebrauchtes teurer und für viele unerschwinglich.

7. Klimakommunikation muss Barrieren abbauen.

In den Gesprächsrunden zeigten sich einige der Teilnehmenden unsicher, ob sie zum Klimadiskurs überhaupt etwas beitragen können, ob Interesse an ihrer Meinung besteht und ob sie dem Austausch sprachlich und inhaltlich folgen können. „Diese Unsicherheiten müssen wir den Menschen nehmen“, fordert Klöffer – zum Beispiel mit Übersetzer:innen, Informationen in Leichter Sprache und passenden Formaten, in denen sich auch Menschen aus dem „unsichtbaren Drittel“ wohlfühlen. 

Weil viele der Teilnehmenden nur vage über den Klimawandel Bescheid wissen, sind aus Klöffers Sicht auch mehr niedrigschwellige Bildungsangebote nötig, die allerdings nicht moralisieren sollten. In Neu-Tannenbusch erklärte das Projektteam zum Beispiel nicht nur, warum manche fordern, dass wir weniger kaufen und wegwerfen sollen. Sie wiesen auch darauf hin, dass einige Menschen sich ohnehin nicht viel Neues leisten können oder dass Menschen mit wenig Geld oft auch wenig Auswahl haben und deshalb zum Beispiel die günstigere Wohnung nehmen müssen, die dann aber häufiger von Hochwasser betroffen ist.

8. Klimaschutz muss das Leben des „unsichtbaren Drittels“ verbessern – oder zumindest nicht verschlechtern.

Am Ende sieht Klöffer aber auch die Politik in der Pflicht: „Es gibt durchaus Interesse an Klimaschutz, aber der muss mit einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation einhergehen.“ Die gute Nachricht: „Es gibt unentdeckte Synergien zwischen einem verbesserten Verbraucheralltag und Klimaschutz.“ Ein Recht auf Reparatur befürworteten zum Beispiel viele der Teilnehmenden. Eine vegetarische Verpflegung in den Kitas würde den Alltag der meisten Familien erleichtern, weil das Essen damit automatisch „halal“ wäre. 

Beim ÖPNV ließe sich ebenfalls ansetzen: Insbesondere die Frauen aus Neu-Tannenbusch fänden es gut, wenn Bus und Bahn noch zuverlässiger, praktischer, günstiger und sicherer würden. Für Klöffer ist allerdings auch klar: Für soziale Gerechtigkeit ist nicht alleine die Klimapolitik verantwortlich. Sie sollte die soziale Dimension aber im Blick haben und strukturell benachteiligte Haushalte relativ gesehen nicht mehr belasten.

Theresa Horbach

Transparenzhinweis: Das Projekt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wurde von der Stiftung Mercator finanziert; die Stiftung Mercator ist auch Gesellschafterin der 2050 Media Projekt gGmbH, der Trägergesellschaft von Klimafakten.