Blickt man sich in Unternehmen und Berufsverbänden um, wird deutlich, wie unklar und neu der Beruf des Nachhaltigkeitsmanagements noch ist. Das fängt schon bei den Begrifflichkeiten an: Ob es um Klimaschutzbeauftragte, Nachhaltigkeitsmanagement, ESG- oder CSR-Management geht – die Berufsbezeichnungen bieten eine schillernde Vielfalt.
Auch Stellenausschreibungen unterscheiden sich stark, die Anforderungen sind oft vage formuliert – insbesondere im Mittelstand, wo die Rolle des Nachhaltigkeitsmanagements vielfach erst etabliert wird. Dabei spielt die neue Berufsgruppe eine kaum zu unterschätzende Rolle: Soll der Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2045 gelingen, dann müssen Strukturen, Prozesse und Geschäftsmodelle grundlegend verändert werden – und zwar in praktisch jedem der mehr als drei Millionen Unternehmen in Deutschland oder den rund 700.000 Firmen in Österreich.

CSR-Beauftragte wirken nach außen, vor allem aber auch ins Unternehmen hinein. Das verlangt Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen; Foto: Carel Mohn
Ines Knecht hat selbst einen Zertifikatslehrgang der Industrie- und Handelskammer (IHK) zur CSR-Managerin absolviert und im Anschluss im Dezember 2022 den CSR-Verband als Dachverband für Nachhaltigkeitsmanagement mitgegründet. Heute ist sie dort Vorstandsvorsitzende und zusätzlich als selbstständige Nachhaltigkeitsberaterin für kleine und mittlere Unternehmen tätig. Aus ihrer eigenen Erfahrung und aus den Gesprächen mit den über siebzig Verbandsmitgliedern sieht sie: „Es ist nicht klar definiert, was diese Rolle umfasst, welche Skills nötig sind und wie Unternehmen diese Personen sinnvoll einsetzen.“ Um die notwendigen Fähigkeiten zu erlernen und sich innerhalb der Berufsgruppe zu unterstützen, werden den Mitgliedern Networking-Veranstaltungen, Weiterbildungen, Coachings und eine Austauschplattform geboten.
Zwischen Datenflut und Veränderungsanspruch
Genaue Zahlen, wie viele Menschen im CSR- oder Nachhaltigkeitsmanagement inzwischen tätig sind, sind schwer zu bekommen. Allerdings zählten nach Angaben der Vernetzungsplattform LinkedIn dort Jobtitel und Stellenausschreibungen für Nachhaltigkeitsmanagement in den Jahren 2023 und 2024 zu den am stärksten wachsenden. Dieser Trend kann auf den europäischen Green Deal zurückgeführt werden, der umfassende ESG-Anforderungen sowohl an große Konzerne als auch an den Mittelstand stellt.
Sind Großunternehmen schon länger von Nachhaltigkeitspflichten betroffen, so sind die umfassenden Anforderungen für kleine und mittlere Unternehmen neu und besonders herausfordernd. Beispielsweise sieht die im Januar 2023 in Kraft getretene CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) sah Berichtspflichten für bis zu 15.000 Unternehmen allein in Deutschland vor (zwischenzeitlich wurde allerdings im Rahmen der sogenannten Omnibus-Verordnung eine Aufweichung beschlossen). Die Kritik an der Regulatorik: Nachhaltigkeitsverantwortliche jonglieren mit Excel-Listen, Daten-Tracking und Gesetzestexten – Zeit für wirksame Maßnahmen im Unternehmen bleibe dabei kaum.
Angesichts des wechselhaften politischen EU-Kurses mit Aufweichungen und Verschiebungen von Vorgaben, hören Nachhaltigkeitsverantwortliche in Firmen oft: „Warum sollen wir jetzt starten, wenn gar nicht klar ist, wo es hingeht?
Viele Nachhaltigkeitsmanager*innen sind in einer Doppelrolle gefangen: Strategische Transformation vorantreiben und gleichzeitig die Datensammelarbeit leisten. Ines Knecht meint dazu: „Es ist utopisch und unrealistisch, dass eine einzelne Person das alles für ein unternehmensweites Thema machen kann." Ihrer Ansicht nach müsse Nachhaltigkeit in Unternehmen als Teamaufgabe verstanden und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden. Es ist zu erkennen, dass auch in mittelständischen Unternehmen zunehmend Teams aufgebaut und auch sogenannte „ESG-Controller“ gesucht werden – die Regel ist es aber noch nicht. „ESG-Controller“ kümmern sich vornehmlich um die ESG-Datensammlung und das Tracking der Ziele, vergleichbar mit dem Accounting oder Controlling in Finanzabteilungen von Unternehmen.
Aus ihrer Arbeit mit Unternehmen aus dem deutschen Mittelstand und im CSR-Verband berichtet Ines Knecht, dass es neben der wachsenden Komplexität der regulatorischen Anforderungen häufig an klarer Priorisierung und Rückhalt durch die Geschäftsführung fehlt. Viele Unternehmen, insbesondere KMU, zögern angesichts des wechselhaften politischen EU-Kurses mit Aufweichungen und Verschiebungen von Vorgaben: „Warum sollen wir jetzt starten, wenn gar nicht klar ist, wo es hingeht?“, ist eine Frage, die Ines Knecht immer häufiger höre. Umso schwerer fällt es Nachhaltigkeitsverantwortlichen dann, andere Abteilungen ins Boot zu holen – „weil die sagen: Wenn das von oben nicht unterstützt wird, dann habe ich andere Prioritäten.“

Auch die Ausrichtung unternehmensinterner Abläufe an CSR-Standards stellt eine Art "System Change" dar; Foto: Carel Mohn
Konfrontiert mit diesen Herausforderungen, steigt bei den oft intrinsisch motivierten Verantwortlichen für Nachhaltigkeitsmanagement die psychische Belastung – ein großes Thema im CSR Verband laut Knecht: „Ich habe leider schon bei einigen gesehen, dass sie Richtung Burnout geschlittert sind, weil sie so sehr für dieses Thema im Unternehmen gekämpft haben – und einfach nicht vorankommen.“
Von der ESG-Pflicht zur Nachhaltigkeits-Kür
Mit der zunehmend komplexen Regulatorik besteht die Gefahr, dass Nachhaltigkeit zum reinen Compliance-Thema verkommt – ähnlich wie der Datenschutz oder die Arbeitssicherheit. Für eine wirkliche Transformation braucht es jedoch umfängliche Maßnahmen und eine Verankerung von Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur. Franzisca Weder ist Professorin für internationale Organisations- und Nachhaltigkeitskommunikation an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie beschäftigt sich in ihrer aktuellen Forschung mit der Rolle, den Kompetenzen und den Entwicklungsperspektiven im Nachhaltigkeitsmanagement. Aus Gesprächen, die sie im Rahmen einer Studie geführt hat, geht klar hervor: Die Anforderungen der ESG-Regulatorik bringen insbesondere im Mittelstand, wo Nachhaltigkeitsmanagement oft noch ein neues Thema ist, viele Nachhaltigkeitsverantwortliche an ihre Grenzen: „Entweder schwimmen sie dann oder sie geben es an Ratingagenturen oder externe Beratungen ab. Dann geht aber eher die Verknüpfung zum Unternehmenskern und zur Kultur verloren.“
Anspruchsvolle Pflichten drohen die eigentliche Nachhaltigkeit auszubremsen. Trotzdem steckt in dieser Phase – Daten sammeln und Prozesse aufbauen – auch ein Potenzial: Mit der Zeit schärft sich der Blick auf Zusammenhänge, Handlungsmöglichkeiten und die Entwicklungschancen von Nachhaltigkeit im Unternehmen. Laut Franzisca Weder seien Regulierungen und Berichtspflichten nötig, um eine breite Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit anzustoßen. Sie geben den Rahmen vor und sorgen dafür, dass Unternehmen – kleine wie große – aktiv werden. Doch langfristig, so Weder, müsse die Gelegenheit entstehen, um den „individuellen Handlungsraum“ für jedes Unternehmen auszuloten: „Irgendwann – wenn sich die Aufregung gelegt hat – kommt der Moment, an dem Unternehmen sagen: Jetzt schauen wir uns den freiwilligen Bereich an und machen daraus etwas für uns. Und genau dort“, so Weder, „liegt die eigentliche Chance – der Bereich, in dem Unternehmen nur gewinnen können.“
Wirkung entfalten Nachhaltigkeitsbeauftragte vor allem über Kommunikation
Gerade deshalb rücken jetzt andere Fähigkeiten in den Vordergrund: Laut der Forschung von Franzisca Weder und ihrem Team sind Nachhaltigkeitsverantwortliche eine Art Change Agents, die vor allem über kommunikative Kompetenzen Wirkung entfalten müssen. Oft werden Nachhaltigkeitsbeauftragte laut Weder in Firmen als Außenseiter und Einzelkämpferinnen wahrgenommen, die fernab des Kerngeschäfts agieren. Sie brauchen für Ihre Arbeit aber unbedingt Mitstreitende aus den Fachabteilungen: Um etwa den Einkauf für nachhaltige Lieferanten zu gewinnen, braucht es nicht nur Daten, sondern vor allem die kommunikative Stärke, unterschiedlichste Leute für die gemeinsame Vision zu gewinnen: wirtschaftlich und strategisch zu überzeugen, persönliche Verbindungen aufzubauen und deutlich zu machen, dass die Nachhaltigkeitsarbeit ein zentraler und wichtiger Bestandteil des Unternehmens ist.
Denn nur wenn Nachhaltigkeit nicht als von außen aufgedrücktes Regulativ wahrgenommen wird, sondern als Thema, das ein Unternehmen selbst gestalten kann, entsteht echte Identifikation. Franzisca Weder betont, wie wichtig es ist, Nachhaltigkeit innerhalb der Organisation „verhandelbar“ zu machen. Unternehmen sollten spezielle Kommunikationsräume schaffen, um gemeinsam zu klären: Was sind unsere Themen? Wo wollen wir als Unternehmen wirklich hin? So, sagt Weder, entstehe eine echte Verbindung – weg von reinen Zahlen und Pflichten.
Nachhaltigkeit überzeugt nur mit guten Argumenten
Auch Thomas Krick teilt die Ansicht, dass die kommunikativen Fähigkeiten von Nachhaltigkeitsmanager*innen künftig besonders relevant sind. Er ist langjähriger Nachhaltigkeitsexperte und aktuell in der Nachhaltigkeitsberatung Better Earth sowie auch beratend in der Klimawandelanpassung tätig. Bereits seit den frühen 2000er Jahren hat er an der Entwicklung internationaler Standards für Unternehmensverantwortung mitgewirkt. Seine Beobachtung: In vielen Unternehmen ist das Bewusstsein für Nachhaltigkeit gewachsen. „Die meisten haben sich inzwischen mit einer ganzen Palette an Themen auseinandergesetzt – das verändert die Haltung in der Wirtschaft spürbar.“ Selbst regulatorische Rückschritte werden aus seiner Sicht daran nichts ändern.
„Es reicht nicht, nur auf die Regulierung zu verweisen. Nachhaltigkeitsmanager*innen müssen ihre Themen so positionieren, dass Unternehmen darin Chancen sehen – wirtschaftlich und strategisch.“
Entscheidend für echten Wandel ist laut Krick jedoch, dass Nachhaltigkeit als strategisches Thema verstanden und von der Unternehmensführung getragen wird. Gerade die Nachhaltigkeitsmanager*innen spielen hier eine zentrale Rolle: Sie müssen die Fähigkeit mitbringen, Nachhaltigkeit auch jenseits von Compliance-Pflichten überzeugend zu begründen und intern dafür zu werben. Krick sagt klar: „Es reicht nicht, nur auf die Regulierung zu verweisen. Nachhaltigkeitsmanager*innen müssen ihre Themen so positionieren, dass Unternehmen darin Chancen sehen – wirtschaftlich und strategisch.“
Die kommenden Jahre werden also zeigen, ob Unternehmen – insbesondere auch der Mittelstand – Nachhaltigkeit als strategisches Zukunftsthema begreifen, oder ob sie in der Erfüllung von Berichtspflichten stecken bleiben. Für Nachhaltigkeitsverantwortliche bedeutet das: Ihre Rolle als Vermittler und Gestalter wird weiter an Bedeutung gewinnen.
Dieser Text ist im Rahmen einer Kooperation mit dem Hochschullehrgang Nachhaltigkeitskommunikation und Klimajournalismus der FH Joanneum in Graz entstanden.