Kommen wir "mit Kunst und Kultur aus der Klimakrise?“ Ist die Kunst gar "ein Gaul, den man sattelt, und mit dem aus der Krise davonreiten kann"? Wer sich eindeutige Aussage auf diese Fragen erwartet hatte, der musste enttäuscht sein von der gleichnamigen Diskussionsveranstaltung in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin. Auch praktische Anleitungen, to-do-Listen gar, wie Kunst wachrütteln, mobilisieren, die Gesellschaft auf den Weg in eine Zwei-Grad-Welt führen könne, blieb das von Zeozwei-Chefredakteurin Hanna Gersmann am gestrigen Freitag moderierte Podium schuldig. Wenn es sich denn im gut gefüllten Plenarsaal überhaupt der Kernfrage des Abends widmete.

Und doch: Kunst kann was – neue Sichtweisen auf den Klimawandel eröffnen beispielsweise. Sinnfällig zeigt das der eingangs in der Akademie gezeigte Kurzfilm 3 Ster mit Aussicht der Objekt- und Installationskünstler Michael Sailstorfer und Jürgen Heinert. Er präsentiert eine idyllisch gelegene Blockhütte, aus deren Dach ein Ofenrohr ragt. Im Film ist dichter Qualm zu sehen, der aus dem Schornstein aufsteigt. Zugleich wird deutlich, dass sich das Feuer vom Holz der Stück für Stück verschwindenden Blockhütte nährt. Am Schluss ragt nur noch ein einsamer Ofen auf einem Holzboden in die Landschaft. Als auch der Fußboden verfeuert ist, stieben ein allerletztes Mal Funken in den Nachthimmel, das Feuer verglüht.

Standbild aus dem Video "3 Ster mit Ausblick" von Michael Sailstorfer/Jürgen Heinert (2002), Foto: Siegfried Wameser

Die vielleicht treffendste Bemerkung des Berliner Akademie-Abends kam aus dem Publikum: Planmäßig betriebene Klimaschutzpolitik und ein kreativ-experimenteller Umgang mit dem Klimawandel seien Antipoden, die es dialektisch aufzuheben gelte. In der Klimakrise, so die Stimme aus dem Publikum, brauche der zielstrebig betriebene Umbau des Energiesystems die andauernde künstlerische Befruchtung.

Befruchtend, so die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn, sei beispielsweise das Angebot der Kunst, das menschliche In-der-Welt-sein mit anderen Augen sehen, neu interpretieren zu können. Diese Neubewertung könne den Raum für gesellschaftliche Wertedebatten schaffen, die gerade beim Streit um die richtigen Klimaschutz-Strategien dringend geführt werden müssen. Etwa über die Frage, wie sich Landschaften durch Windräder verändern dürften oder welcher Fleischkonsum ethisch vertretbar sei.

In Zeiten des Klimawandels hören wir bei den "Vier Jahreszeiten" auf einmal Misstöne

Horn war es auch, die an das Bild der Natur in der Kunst erinnerte. "Die vier Jahreszeiten", "Herbsttag" - über Jahrhunderte sei Klima zunächsüber sinnliche Wahrnehmung erfahrbar, vor allem aber ein geographisch verankerter Begriff gewesen. Das Berliner Klima, das Mittelmeerklima waren an Orte und Regionen gebunden, wurden als Natur-Gegebenheiten künstlerisch wahrgenommen. In der Kunst spiegelte sich das in Gemälden wie etwa der "Winterlandschaft mit Eisläufern" von Pieter Bruegel dem Älteren. "Diesen kulturell tradierten Begriff von Klima indes mussten wir aufgrund der modernen Klimaforschung ad acta legen", so Eva Horn. Reine, vom Klimawandel unberührte Natur gebe es nirgendwo mehr. Die Sinfonia Antarctica von Ralph Vaughan Williams klingt anders, schriller im 21. Jahrhundert. Jetzt gehe es darum, die beiden Begriffe von der Lokalität des Klimas einerseits und vom sich ändernden Weltklima andererseits neu miteinander zu verbinden – und hier könne Kunst eine Brücke schlagen.

Was also nun kann Kunst konkret, wenn es ums Klima geht? Kommen wir noch einmal zu den Antipoden zurück. Wer wirklich verstehen will, wer das große Ganze begreifen will, muss sich manchmal ganz weit von seinem Ausgangspunkt entfernen. Wer verlernt hat, die Jahreszeiten in ihrer Veränderlichkeit wahrzunehmen, wer nicht versteht, wie zerbrechlich und fragil ökologische Kreisläufe sind, wer das ganze Ausmaß der Bedrohung noch nicht sieht – dem kann vielleicht das Breitbandpanorama helfen, das die Kunst bietet. Schließlich ist man an keinem Ort so weit von "der" Natur entfernt wie bei der Kunst. Und wer die Welt so gesehen hat, und sei es im Museum, kann dann vielleicht auch Klima-Empathie entwickeln.

CaM