Meinung

Wie ich es sehe? Nun, Angst vor Handystrahlen habe ich keine. Eltern, die ihre Kinder nicht gegen Kinderlähmung, Diphterie und Masern impfen lassen, handeln in meinen Augen fahrlässig. Andererseits: Medizinkritiker, die mit statistischen Daten zeigen, dass ein Großteil von Krebs-Vorsorgeuntersuchungen aus medizinischer Sicht überflüssig sind, finden bei mir ein offenes Ohr. Was genveränderte Lebensmittel betrifft, mache ich mir weniger Sorgen um meine Gesundheit, als vielmehr um die wachsende Macht jener Unternehmen, die gentechnisch verändertes Saatgut und, als passendes Zubehör, Pestizide herstellen (gegen die die genmanipulierten Nutzpflanzen resistent sind). Und, ja: Ich halte es für ausgemacht, dass es einen Klimawandel gibt, der von Menschen verursacht wird, und dass wir deutliche Anstrengungen unternehmen sollten, diesen bremsen.

Ergibt all das zusammen ein schlüssiges Bild, ein Muster? Dieses vielleicht: Ich habe Vertrauen in die Wissenschaft, aber mit Vorbehalten. Ich denke, dass es zuweilen rational sein kann, individuell anders zu entscheiden, als die Experten es als generelle Regel empfehlen. Bin misstrauisch gegenüber Großunternehmen und ihrem Einfluss.

Von solchen Mustern im Umgang mit Wissenschaft und Expertenpositionen hängt viel ab - mehr, als man denken sollte: Was kaufen wir ein? Welche Parteien wählen wir? Wie investieren wir unser Geld? Und welchen Lebensstil führen wir? Bei all diesen zentralen Fragen spielt unser Umgang mit Wissenschaft eine zentrale Rolle – und zwar meist mehr oder weniger unbewusst. Tatsächlich orientieren wir uns nämlich bei der Beurteilung von Sachfragen vor allem daran, wie wir bereits in ähnlichen Dingen geurteilt haben. Und wir schenken Spezialisten Glauben, die uns von ihrem Stil her nahestehen.

Der amerikanische Psychologe Dan Kahan hat derlei sogar in Experimenten mit kostü­mierten Experten nachweisen können.1 Sein Fazit: Bei der Beurteilung von Dingen wie dem Klimawandel, aber auch den Risiken der Gentechnik oder auch des Impfens verhalten wir uns im Grunde nicht anders als Fußballfreunde in der Fankurve: Wir urteilen wie unser soziales Umfeld – und versuchen, neue Fragen vertrauten Kategorien zuzuordnen. Im Zweifel sind uns Lebensstil und kulturelle Deutungsmuster wichtiger als natur­wissen­schaftliche Fakten und deren Interpretation.2
Bezogen auf den Klimawandel stößt diese intuitive Herangehensweise an Wissenschaft jedoch an ihre Grenzen. Denn das Dumme an der ganzen Sache ist: Anders als Fußball­freunde im Stadion sind wir, wenn wir über den Klimawandel streiten, am Ende alle am gleichen Spielausgang interessiert: dem Wohl der Gesellschaft. Zeit also, sich von den stereotypen Mustern zu lösen.

Nur: Kann ein verständiger, bewusster Umgang mit Wissenschaft funktionieren, wenn man von den Einzelheiten der Klimaforschung keine Ahnung hat?

Fakten

Sicherlich: die Basisfakten sind unbestritten. Seitdem wir Menschen nicht nur das Feuer erfunden haben, sondern zudem in großem Maße fossile Brennstoffe nutzen, setzen wir ungeheure Mengen an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen3 frei. Entsprechend steigt der CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre – besonders stark in den vergangenen Jahrzehnten. Der Anstieg von CO2 in der Atmosphäre wiederum führt zu einem vermehrten Treibhauseffekt. Die Erde kann immer weniger der von der Sonne empfangenen Wärme wieder abstrahlen. Die Temperatur auf dem Land, in der Luft und in den Ozeanen steigt.
Generell weiß man außerdem über ökologische Systeme, dass diese sich in Gleichgewichts­zuständen befinden. Gerät ein solches Gleichgewicht aus der Balance, stellt sich ein neues, anderes Gleichgewicht ein. Im vorliegenden Fall käme ein „anderes Gleichgewicht“ jedoch vermutlich Bedingungen gleich, unter denen die Gattung homo sapiens auf der Erde nicht mehr allzu bequem leben könnte.

Über das meiste, was über diese durch zahlreiche Beobachtungen gestützte Basisannahmen hinausgeht, lässt sich trefflich streiten.

Selbst biologisches und physikalisches Grundwissen scheint zur Diskussion zu stehen. Ein Beispiel: Auf einer Internetseite mit dem Titel „Fehler der Wissenschaft“ berichtet ein Hobbyforscher darüber, wie er den CO2-Gehalt in einem geschlossenen Behälter gemessen hat, in dem sich Pflanzen befinden4. Sein Resultat: Wie alle anderen Organismen verbrauchen auch Pflanzen Sauerstoff und geben Kohlendioxid ab. Weshalb die Photo­synthese ein Märchen sei und CO2 kein Klimakiller. Wenn man einmal von der letzten Schlussfolgerung absieht (die aus den beobachteten Daten nicht folgt): Die Versuche – auf der Webseite ausführlich beschrieben – scheinen solide zu sein. Zumindest wüsste ich als Nicht-Naturwissenschaftler aus dem Stehgreif nicht, was falsch daran sein könnte. Wissen Sie es?

Auch jene Details im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die eigentlich als gesichert gelten, sind immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Aber was will man erwarten?

Auch in vergleichbaren anderen Fällen wurde über wissenschaftliche Erkenntnisse gestritten. Die Gefahren beispielsweise erst des Rauchens, dann des Passivrauchens konnten jahrelang von Experten, die im Auftrag der Tabakindustrie systematisch Lobbyismus betrieben, erfolgreich bezweifelt werden. Dabei konnten sie sich auf das Argument stützen, dass die verfügbaren statistischen Daten keinen hundertprozentig sicheren Kausalzusammenhang zwischen Krebs und Passivrauchen belegen konnten. Erst, als die politische Entscheidung, den Nichtraucherschutz auszuweiten, unwiderruflich getroffen war, verstummten die Skeptiker.
Ihre Erfolgsbilanz: Obwohl die Gesundheitsrisiken durch Passivrauchen bereits seit Mitte der 80er Jahre als erwiesen galten, wurde ein entsprechendes politisches Handeln über viele Jahre hinweg verhindert. In Deutschland konnte noch in den 90er Jahren ein Angestellter, der sich darüber beschwert hatte, dass er ein Büro mit einem Raucher teilen musste und der es ablehnte, eine Einverständniserklärung zu unterzeichnen, von seinem Arbeitgeber entlassen werden.5
Wer sich solche Entwicklungen vor Augen hält, wird nur geringe Erwartungen hegen, was die unwiderlegbare Beweisbarkeit des menschengemachten Klimawandels betrifft. Zumindest werden viele wissenschaftliche Positionen auch dann noch angezweifelt, wenn die Beweislage geradezu erdrückend ist.

Meeresspiegel-Anstieg: Wer hat Recht?

So sprechen die Daten vieler Parameter, die mit dem Klimawandel einhergehen, eigentlich eine sehr deutliche Sprache. Der Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen Jahrzehnten beispielsweise ist von weltumspannenden Forschungsprogrammen hervorragend dokumentiert. Dennoch gibt es auch darüber Kontroversen. Ein Artikel auf Spiegel Online beispielsweise legte im Juli 2011 die Vermutung nahe, dass der deutliche Anstieg vor allem dadurch zu erklären sei, dass man von der Pegel- zur Satellitenmessung übergegangen sei.6 Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung widersprach in seinem Blog entschieden.7 Wer also hat Recht? Der Spiegel-Redakteur hat im Laufe etlicher Berufsjahre sicherlich viel Gelegenheit gehabt, sich mit dem Thema zu befassen. Stefan Rahmstorf, Universitätsprofessor für Physik der Ozeane und Forschungsbereichsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, hat darüber hinaus eine lange Liste von Publikationen in einschlägigen Fachzeitschriften vorzuweisen, deren Beiträge vor Veröffentlichung in einem mehrstufigem Verfahren durch Fachgutachter geprüft werden. Ein Großteil der Veröffentlichungen entfällt auf Nature, Science und die Proceedings of the National Academy of Sciences, also auf die weltweit meistbeachteten wissenschaftlichen Zeitschriften. Wer es schafft, hier zu veröffentlichen, muss Forschungsergebnisse von herausragendem wissen­schaftlichem Erkenntniswert vorzuweisen haben. Zugleich steht er damit sozusagen unter intensivster Beobachtung. Was im Umkehrschluss bedeutet: Was in diesen Zeitschriften publiziert wurde und dann auch der professionellen Kritik der wissenschaftlichen Community standhält, ist wirklich niet- und nagelfest.

Andererseits ging es bei dem Streit um den Artikel auf Spiegel Online nicht nur um die Frage, ob der Meeresspiegel steigt oder nicht, sondern auch darum, die widerstreitenden Meinungen der Experten abzubilden und auch zu beurteilen - darunter auch Meinungen von Rahmstorfs "Konkurrenten". Ist in einer solchen Angelegeneheit eine Koryphäe wie Rahmstorf immer noch die erste Adresse für Wahrheit und Objektivität?

Abgesehen davon: Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der einen noch längeren Atem hat als Rahmstorf, einen noch ausführlicheren Blogbeitrag schreibt und das, was Rahmstorf sagt, wieder auseinandernimmt. Will sagen: Selbst dort, wo die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler eine Frage für entschieden erachtet, ist schnell ein Punkt erreicht, wo wir Nicht-Experten vieles nicht mehr nachvollziehen können. Nicht nur, weil es kompliziert wird – sondern auch, weil einfach niemand Zeit hat, die vielen Stellungnahmen und Gegen-Stellungnahmen zu lesen.

Dabei sollte der Meeresspiegel noch eine einfache Übung sein. Viele, wenn nicht die meisten Faktenaussagen, die in der Debatte um den Klimawandel im Umlauf sind, sind auf direktem Wege empirisch gar nicht nachmessbar. Schon die Wahrheit von beobachtungsleitenden Thesen wie „Wenn sich die Atmosphäre im Laufe der Jahre nachts stärker erwärmt als tags, dann ist das typisch für den Klimawandel“ lässt sich nirgendwo am Thermometer ablesen. Und auch die viel zitierte „Klimasensitivität“, die angibt, wie stark sich das Klima erwärmt, wenn sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre verdoppelt, ist keine Größe, die man irgendwo in der Natur direkt beobachten könnte. Das hängt damit zusammen, dass gleich mehrere Faktoren, - die zudem einander auch noch beeinflussen -, dafür verantwortlich sind, wie stark das Klima auf eine veränderte CO2-Konzentration reagiert.

Zunächst hat das CO2 eine unmittelbare Wirkung: Die durch Sonneneinstrahlung auf der Erde entstandene Wärme kann nicht mehr ungehindert in Richtung Weltraum entweichen, sondern wird von der CO2-haltigen Atmosphäre wie von einem Schutzschild auf die Erde zurückreflektiert. Dieser Effekt lässt sich im Labor genau rekonstruieren und messen. Nun kommen jedoch noch Rückkoppelungseffekte hinzu. Mit dem Anstieg der Temperatur nimmt auch der Gehalt von Wasserdampf in der Atmosphäre zu. Wasserdampf ist wie CO2 ein Treibhausgas – er verhindert das Abstrahlen der Sonnenwärme in den Weltraum. Auf der anderen Seite verursacht Wasserdampf aber auch Wolkenbildung. Wolken schirmen die Erde von Sonnenstrahlen ab – und haben deshalb einen kühlenden Effekt. Diese konträren Effekte machen die Bestimmung der Klimasensitivität so schwierig. Um sich zu behelfen, haben Klimaforscher deshalb die verfügbaren Klimamodelle mit Daten aus vergangenen Jahrtausenden gefüttert und geprüft, wie gut die unterschiedlichen Modelle in der Lage sind, eine ganze Reihe von Klimaereignissen korrekt zu simulieren – und beispielsweise auch „rückwärts“ genau die Daten zu errechnen, die man in der Vergangenheit bereits gemessen hat. Auf der Basis von diesem und von anderen Verfahren ist man sich heute sehr sicher, dass die Klimasensitivität in einem Bereich zwischen 1,5 und 4,5 Grad Celsius liegt. Innerhalb dieser Spanne gilt der Wert von drei Grad als der wahrscheinlichste aller Werte.

„Zweifel ist unser Geschäft“

Daraus, dass sich die relevanten Daten nicht alle direkt in der Natur beobachten lassen, folgt freilich nicht, dass der Klimawandel nicht bewiesene Sache ist. Nur dass es „Kontroversen“ gibt, sollte einen nicht verwundern. Im Gegenteil. Selbst ich mit meinem geringen Kenntnisstand könnte ohne große Mühen eine „Anleitung für Klimaskeptiker“ zusammenstellen.8 Methode Nummer eins (derer sich übrigens auch Verkäufer von Aktienfonds gern bedienen): Man wähle den Ausgangspunkt einer Zeitreihe mit Daten, die man als Beweisgrundlage heranziehen will, so aus, dass die eigene These gestützt wird. Irgendein Ausschnitt, der passt, lässt sich immer finden! Und jeder auch noch so simple Trick wird von irgend jemandem angewendet. Oft steckt dahinter bloßes Eigeninteresse. „Doubt is our product“ („Wir produzieren Zweifel“): mit diesem Slogan brachte einmal eine Werbeagentur, die für die Tabakindustrie tätig war, ihr Selbstverständnis auf den Punkt.9
Eines ist somit klar: Mit Fakten allein wird man uns Laien schwer von der Relevanz des Klima­wandels überzeugen. Im Gegenteil: Detailgenauigkeit scheint uns eher zu verwirren. Wenn in den Medien mit dem Bemühen um Ausgewogenheit immer wieder auch die Skeptiker zitiert und deren Argumente in aller Ausführlichkeit diskutiert werden, dann stellt sich in der Öffentlichkeit der Eindruck ein, dass es unter Fachleuten tatsächlich eine Kontroverse gäbe. Wie die Skeptiker in den Medienberichten wegkommen, ist nahezu einerlei. Was hängen bleibt ist der Eindruck, dass diese etwas zu sagen haben.10

Eine Vielzahl von Beweisen

Sind wir Laien also von der Existenz des menschengemachten Klimawandels mit Argumenten und wissenschaftlichen Details schlichtweg nicht zu überzeugen? Vielleicht gibt es einen Weg, der uns weniger Sachverstand abfordert. Denn wenn auch jeder einzelne Baustein in den Theorien der Klimaforscher angreifbar ist: Ist nicht die Tatsache, dass eine Vielzahl voneinander unabhängiger Befunde für die Existenz des menschengemachten Klimawandels sprechen, ein starkes Indiz dafür, dass der Trend der Forschung richtig liegt?
Die Befunde sind bekannt und auf den einschlägigen Webseiten – so auch dieser – aufgelistet.

  • Die Analyse der chemischen Strukturen von CO2 in der Atmosphäre, in Korallen und in Seeschwämmen zeigt: Der Anteil von CO2, welcher durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wurden, ist in der Zeit von 1800 bis 2000, insbesondere aber in den Jahren von 1960 bis 2000, stark gestiegen.11
  • Mittels Satellitenmessungen lässt sich verfolgen, wie sich die von der Erde in Richtung Weltraum ausgehende Wärmestrahlung über die Jahre verändert. Messungen zeigen: In dem Strahlenspektrum, welches von Treib­haus­gasen absorbiert werden kann, ist seit den 1970er Jahren immer weniger Wärme abgestrahlt (und statt dessen von den Treibhausgasen absorbiert) worden.12
  • Die Erwärmung der Ozeane in den vergangenen 40 Jahren verläuft in Mustern, wie sie typisch sind für durch Treibhausgase verursachten Klimawandel.13
  • Die Veränderung der Bodentemperatur in den letzten 50 Jahren weist Charakteristika auf, wie sie typisch sind für durch Treibhausgase hervorgerufenen Klimawandel. Warme Nächte haben stärker zugenommen als warme Tage. (Wenn die Konzentration an Treibhausgasen zunimmt, dann kann die Erde nachts weniger Wärme abgeben. Wenn hingegen die Sonne verantwortlich wäre für steigende Temperaturen, dann sollte vor allem eine Zunahme der Erwärmung des Bodens in den Tagesstunden zu beobachten sein – was aber in der Tat nicht beobachtet wurde).14
  • Forscher haben gemessen, wie viel Infrarotstrahlung von der Atmosphäre auf die Erde zurückgestrahlt wird. Sie haben sich dabei auch das Spektrum der Strahlen genau angeschaut. Dieses gibt Rückschlüsse darauf, ob Treibhausgase für eine Veränderung in der Infrarotstrahlung verantwortlich sind. Das Resultat: Durch eine Zunahme von Treibhausgasen hat in den vergangenen 35 Jahren die von der Atmosphäre auf die Erde zurückstrahlende Wärme signifikant zugenommen.15
  • Andere Daten zeigen, dass die Temperatur sich während der Winterzeit stärker erwärmt hat als im Sommer – genau so, wie man es für eine durch Treibhausgase veränderte Klimaveränderung erwartet.16
  • Beobachtungen, die mit Hilfe von Wetterballons und Satelliten vorgenommen wurden, zeigen, wie sie die obere Atmosphäre in den vergangenen Jahrzehnten abgekühlt hat. Dieser Effekt ist – bei gleichzeitiger Erwärmung der unteren Atmosphäre – nur zu erklären durch eine Zunahme von Treibhausgasen.17

Eine beeindruckende Reihe von Argumenten!

Doch anders als bei einer Abwägung von Vor- und Nachteilen, die für einen Vorschlag sprechen, lassen sich Argumente, welche die Wahrheit einer These begründen, nicht so ohne weiteres addieren: Zwei Beweisgründe, welche dafür sprechen, dass eine These mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit wahr ist, ergeben zusammen genommen eben noch keinen Beweis für hundertprozentige Wahrheit. Aber lässt sich aus der Vielzahl von unabhängigen Beweisen nicht dennoch ein Argument gewinnen? Zwei Ansatzpunkte fallen mir dazu ein.

Zunächst, ganz generell: Aus der Forschung über Verfahren der kollektiven Entscheidungsfindung („smart crowds“) weiß man, dass ein Ergebnis größere Chancen hat, richtig zu sein, desto mehr Informationen in eine Beweisführung oder Urteilsfindung eingehen.18 Innerhalb von Teams kann Diversität von Informationen dadurch erreicht werden, dass möglichst unterschiedliche Experten zu Rate gezogen werden. Diese dürfen einander allerdings nicht beeinflussen – sonst kommt es zu Effekten, wie man sie aus Spekulationsblasen kennt (in der Verhaltensforschung behandelt als „Informationskaskaden“19) oder zur Radikalisierung der Meinungen von Diskussionteilnehmern (bekannt als „Pooling“20).

Sollte man nicht, was für Experten gilt, auch auf Beweisverfahren übertragen können? Die Tatsache, dass die Beweise für die Existenz des menschenverursachten Klimawandels auf methodisch voneinander unabhängigem Wege erbracht worden sind, wäre dann zugleich eine Garantie dafür, dass auch eine große Menge unterschiedlicher Informationen in die Beweisführung eingeflossen ist. Und dies wiederum wäre ein starkes Indiz dafür, dass die Prognosen der vereinten Klimaforschung besser sind als andere denkbaren Klimaprognosen.

Können einzelne Schwachpunkte eine ganze Beweiskette aufbrechen?

Zweitens. Es mag viele Einwände geben, die sich gegen den einen oder den anderen Punkt in der Beweisführung richten. Manche dieser Einwände mögen punktuell sogar recht überzeugend sein. Aber: Jeder Einwand muss in Einklang mit allen anderen Punkten in der Beweisführung stehen, oder aber entstehende Widersprüche plausibel erklären können. Je größer die Menge der bereits vorgebrachten Beweise, desto schwieriger wird es, alternative Erklärungen glaubhaft zu machen. In der Wissenschaftstheorie wird dieser Sachverhalt als Basis für Verfahren genutzt, um die Stichhaltigkeit von Theorien zu überprüfen. Lässt sich das Prinzip nicht auch auf die Frage des Klimawandels übertragen?21
Ein Beispiel dafür ist die oft kritisierte „Rosinenpickerei“ (cherry picking): Klimaskeptiker, die lediglich einzelne Punkte in der Argumentation ihres Gegners attackieren, ohne aber selbst die Gesamtheit der bekannten Fakten schlüssig erklären zu können. Ein bekannter Fall von Rosinen­pickerei ist der Verweis auf die von einigen Forschern behauptet globale Abkühlung in der Dekade von 1998 bis 2007: ein scheinbares Indiz gegen den Klimawandel22, welches zudem allen anderen Beobachtungen zu widersprechen scheint. Verschiebt man den Blickwinkel um nur ein Jahr auf den Abschnitt von 1997 bis 2006, ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Selbst dann, wenn man temporäre und möglicherweise die Klimaerwärmung verstärkende Effekte wie das Meeres­strömungs­phänomen El Niño in den Jahren 1997/98 aus der Gesamtkalkulation herausrechnet, ergibt sich für diesen Zeitraum immer noch ein deutlicher linearer Temperaturanstieg.23

Expertenkonsens: Kein ernstzunehmender Wissenschaftler widerspricht

Dass die Beweise für den Klimawandel mittels unterschiedlicher Messdaten erbracht worden sind und von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, ist eines. Davon zu unterscheiden ist die Tatsache, dass nahezu die Gesamtheit der Experten von der Existenz des menschengemachten Klimawandels überzeugt ist. „Mehr als 2.500 wissenschaftliche Gutachter und über 800 Zweit­autoren und 450 Erstautoren aus mehr als 130 Ländern haben in sechsjähriger Arbeit gemeinsam einen Report verfasst.“ So beschrieb der Weltklimarat der Vereinten Nationen, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), seinen Klimareport 2007. Ist diese geballte Macht von zusammengerechnet 3.750 Experten ein Indiz für die Richtigkeit des Berichtes?
Was ja zunächst ins Auge fällt, ist die kaum in Frage zu stellende Reputation von Wissenschaftlern und Organisationen, welche an den IPCC-Berichten mitwirken beziehungsweise ihren Befunden anschließen. Keine Forschungsorganisation, keine wissenschaftliche Fachgesellschaft, keine wissenschaftliche Akademie, die sich zum Thema geäußert hat, lässt den leisesten Zweifel daran aufkommen, dass durch menschliches Handeln verursachter Klimawandel ein mittlerweile erwiesenes Faktum ist.24

Ferner zeigen ausführliche Analysen der Forschungsliteratur, dass kaum ein ernstzunehmender Wissenschaftler die Existenz des menschenverursachten Klimawandels bestreitet. So ging aus einer 2010 veröffentlichten Analyse der Veröffentlichungen von knapp 1.400 Klimaforschern hervor, dass unter den 50 Klimaforschern mit den meisten und den meistzitierten Ver­öffentlichungen lediglich zwei Prozent vom „Konsens“ des IPCC nicht überzeugt waren. 97 Prozent aller Klimaforscher hingegen waren mit dem IPCC einer Meinung. In der Gruppe der Nichtüberzeugten wurde zudem ein durchweg geringes Level an Expertise festgestellt. 80 Prozent der Nichtüberzeugten hatten weniger als 20 Fachpublikationen zum Thema Klimawandel vorzuweisen. So wenige Publikationen hatten unter den vom Klimawandel überzeugten Wissenschaftlern nur zehn Prozent.25

„Die Klimaforschung ist eine geschlossene Gesellschaft?“ – Eine schöne These. Belege? Fehlanzeige

Dennoch gibt es genug Gründe, aus denen man der Aussagekraft wissenschaftlicher Autorität misstrauen könnte. Zunächst: Wer veröffentlicht in Fachzeitschriften, deren Beiträge ein Begutachtungsverfahren (peer review) durchlaufen und wer nicht? Macht sich jemand, der eine vom IPCC abweichende Meinung vertritt, nicht vielleicht von vornherein unmöglich – so dass es kein Wunder ist, wenn die Nichtüberzeugten weniger und weniger prestigträchtige Ver­öffentlichungen aufzuweisen haben? Ist die Forschung selbst voreingenommen?
Behaupten lässt sich so etwas leichterdings. Die Belege dafür bleiben die Kritiker indes schuldig. Besonders im Zuge der so genannten Climategate-Affäre machten Gerüchte darüber die Runde, dass Wissenschaftler durch Taktieren versuchten, Kollegen mit unliebsamen Meinungen aus­zu­bremsen. Obwohl die Vorwürfe im Nachhinein widerlegt wurden, haben sie mit dazu beigetragen, dass die öffentliche Meinung der Klimaforschung seither mit erhöhter Skepsis begegnet.26
Der Umweltberichterstatter der BBC, Richard Black, hat die Probe aufs Exempel gemacht und auf seinem Blog Klimaskeptiker dazu aufgefordert, Belege für eine derartige Voreingenommenheit der Forschung zu veröffentlichen.

Unter den hundert Lesern, die ihm auf den Blogeintrag antworteten, behaupteten vier, ihre gegenüber dem Klimawandel skeptischen Forschungsartikel seien nicht veröffentlicht worden. Ein Schweigekartell der Klimaforscher? Black wollte es noch genauer wissen und bat die vier Leser, ihm die Artikel zuzusenden. Drei kamen der Bitte nach; einer wollte noch auf die Antwort einer weiteren Fachzeitschrift warten, bevor er die Ergebnisse aus der Hand gab. Von den drei eingesandten Berichten befand sich einer noch in einer nicht endgültig fertiggestellten Fassung. Der zweite war eine Rezension, welche die Position des IPCC unterstützte. Der dritte Bericht stammte von dem US-Meteorologen Reid Bryson, der behauptete, Schwierigkeiten mit der Veröffentlichung von Studien zu haben, welche Vulkan­tätigkeit für den Klimawandel verantwortlich machten. In allen Fällen waren Ablehnung­sschreiben der Redaktionen, bei denen die Autoren die Artikel eingereicht hatten, nicht mehr verfügbar. Ein fünfter Leser schließlich beschwerte sich darüber, dass Magazine der Publikumspresse seine Leserbriefe nicht drucken würden. Das war alles.

Blacks Resümee: „Niemand behauptete, dass man ihn von der Teilnahme am IPCC ausgeschlossen oder dass man ihm eine Anstellung oder eine Beförderung verweigert hätte. Niemand behauptete, entlassen worden zu sein oder auch zu einer Konferenz nicht eingeladen worden zu sein“ - offenbar, weil es derartige Fälle schlicht nicht gab.27

Wankelmut der Forschung: In manchen Disziplinen scheinen 180-Grad-Wendungen an der Tagesordnung

Selbst wenn man davon ausgeht, dass in der Wissenschaft alles mit fairen Dingen zugeht, gibt es immer noch Gründe, daran zu zweifeln, dass Reputation ein Wahrheitsgarant ist - auch wenn diese das Ergebnis jahrelanger Arbeit unter den Augen kritischer Kollegen ist. Schließlich sind genug Fälle bekannt, in denen die versammelte Expertenschaft versagt hat.

Erst jüngst etwa brach die Finanzkrise für die praktisch gesamte Zunft der Wirtschafts­wissenschaftler wie aus heiterem Himmel herein. Berüchtigt für kollektives Versagen ist auch die Ernährungsforschung. Alle paar Jahre, scheint es, macht sie mit ihren Empfehlungen eine Kehrtwende um 180 Grad. Dass zum Beispiel der Genuss von Butter verantwortlich ist für hohe Cholesterinwerte im Blut, ist mittlerweile mehr als umstritten. Und selbst, dass fettes Essen dick macht, mag die Wissenschaft nicht mehr unbedingt unterschreiben. „Was, wenn es alles nur eine fette Lüge war?“ So übertitelte das Magazin der New York Times im Sommer 2002 einen langen Essay des Wissenschaftsjournalisten Gary Taubes. Der mehrmalige Träger des National Association of Science Writer’s-Preises vertrat darin die Auffassung, dass die in den USA zur Volkskrankheit gewordene Übergewichtigkeit nicht die Folge zu fettreicher Ernährung, mangelnder Bewegung und ungehemmter Völlerei sei, sondern, ganz im Gegenteil, die direkte Auswirkung jener fettarmen, dafür aber kohlenhydratreichen Ernährung (Getreide, Brot und Kartoffeln), die von den Gesundheitsorganisationen seit Jahr und Tag empfohlen wird. Folgt aus solchen lebensnahen Beispielen nicht, dass man auch dem Expertenkonsens in Sachen Klimawandel mit grundsätzlicher Skepsis begegnen sollte?
Was das Thema Fett betrifft, liegen die Dinge relativ einfach. Zwar sind die Experten mit ihren Empfehlungen tatsächlich deutlich zurückgerudert. Die Quintessenz der Empfehlungen reduziert sich mittlerweile auf Tipps wie „eine gute Mischung aller Nährstoffe“ und „nicht so viel essen, mehr Bewegung“. Ganz so weit, nun vor allem (à la Atkins) Fett und Eiweiß auf den Speiseplan zu setzen, geht der Mainstream der Ernährungsforscher zwar nicht. Was die wissenschaftlichen Grundlagen des Stoffwechsels im allgemeinen betrifft und auch speziell die Lipidomik, also die Fettforschung, so hat sich über die Jahre hinweg die Meinung der Experten auch gar nicht so stark verändert. Was sich dennoch verändert hat, waren vielmehr die Ernährungsratschläge der Gesundheitsbehörden – und mehr noch die Empfehlungen in der populären Ratgeber-Literatur.

Finanzkrise 2008: Der Mainstream der Wirtschaftsforschung irrte total

Schwieriger gestaltet es sich, gute Erklärungen für das kollektive Versagen der Wirtschafts­forscher zu finden. Sind die Gleichgewichtsmodelle der Ökonomen schlichtweg nicht komplex genug? Sollte die Wirtschaftsforschung besser auf viel breiterer Datenbasis operieren als bisher üblich und aufwändige Simulationen nach dem Vorbild der Klima­forschung verwenden? Solche Fragen werden derzeit viel diskutiert.28 Wie immer die Diskussion ausgehen wird:

Ganz vom Tisch wischen lässt sich der Einwand tatsächlich nicht, dass der Mainstream einer Wissenschaft in wesentlichen Fragen irren kann. Aber was folgt daraus? Doch wohl nur, dass es sich lohnt, Kritik und Skepsis ernstzunehmen – und, dass eine Mehrheitsmeinung zwar kein Garant, aber doch ein starkes Indiz, für die Wahrheit einer Theorie ist.

Hat man auch in Sachen Klima die Wissenschaft grundlegend geirrt? Meine Generation kann sich noch gut an das Waldsterben erinnern. Davon las man seinerzeit sogar in Jugendbüchern. Heute redet niemand mehr davon. Dennoch: im Rückblick hat wohl nicht zuletzt die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema dazu geführt, dass Autos heute nur noch mit Katalysator gebaut werden, dass eine neue Großfeuerungsanlagenverordnung erlassen wurde. Die in der Folge in Kohlekraftwerke eingebauten Rauchgasentschwefelungsanlagen haben die Emissionen, die als Ursachen für das Waldsterben identifiziert wurden, denn auch drastisch reduziert. Das Ausbleiben eines sichtbaren und flächendeckenden Waldsterbens widerlegt also keineswegs die seinerzeitigen wissenschaftlichen Warnrufe.

Ein weiteres Beispiel sind die in den frühen 70er Jahren herumgeisternden Szenarien einer neuen Eiszeit. Ein Irrtum der Wissenschaft? Eher nicht. Zum einen handelte es sich hier um keine Mainstream-Meinung, sondern um eines von verschiedenen, einander widersprechenden Szenarien, die in Betracht gezogen worden. Außerdem wurden die Eiszeit-Prognosen in dem Maße revidiert, wie die Kenntnisse über Klimaveränderungen zunahmen und sich die Klimaforschung überhaupt erst als Wissenschaft auszubilden begann.29 Gewissermaßen waren die vereinzelten Horrorszenarien einer bevorstehenden neuen Eiszeit selbst mit ein Grund dafür, dass überhaupt in die Klimaforschung investiert wurde.

Anfang der 70er verschmelzen zahlreiche Disziplinen zur Klimaforschung

In der Tat begann sich die Klimaforschung erst in den 70er Jahren als eigenständige Disziplin aus Meteorologie, Ozeanografie, Geografie, Geologie, Hydrologie, und Ökologie herauszubilden. Eine Wissenschaft, die nicht mehr, wie die Klimaforschung anno dazumal mit statistischen Daten arbeitete, sondern physikalische Modelle und Kalkulationen verwendete. 1977 wurde die Fachzeitschrift Climatic Change gegründet. Regierungen vervielfachten die Förderung. Die USA richteten die National Oceanic and Atmospheric Administration ein, welche die Ozeanographie mit der Meteorologie auch auf Institutionen­ebene verschmolz. 1979 fand die erste Weltklimakonferenze statt. Das World Climate Research Program wurde gegründet; Mitte der 80er Jahre folgte das International Geosphere-Biosphere Program. Die Entwicklung kulminierte schließlich in der Gründung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der in regelmäßigen Abständen alle relevanten Forschungserkenntnisse zum Klimawandel zusammenfassen und bewerten sollte.
Aufgrund des ersten „Sachstandsberichtes“ des IPCC 1992 wurde in Rio de Janeiro die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) verabschiedet. Die Konvention besagte, dass die internationale Gemeinschaft Anstrengungen unternehmen soll, um eine „für den Menschen gefährliche Klimaveränderung“ zu verhindern. 1995, im zweiten IPCC-Report, war schon die Rede davon, dass „die Abwägung der Erkenntnisse einen erkennbaren menschlichen Einfluss auf das Klima nahelegt“. Zwei weitere Berichte später, 2007, hieß es dann klipp und klar: „Es gibt neue und klarere Belege dafür, dass der Großteil der in den letzten 50 Jahren beobachteten Erwärmung menschlichen Aktivitäten zuzuschreiben ist.“

Die kurze Geschichte der Klimaforschung zeigt, dass die Veränderung, ja sogar die Revision etablierter Meinungen innerhalb der Klimaforschung nicht nur möglich ist, sondern auch immer wieder passiert ist. Aber kann das ein Argument gegen die Verlässlichkeit der Forschung sein? Eher trifft doch das Gegenteil zu: Gerade die Revision einst etablierter Positionen deutet darauf hin, dass hart darum gerungen wird, belastbare Erkenntnisse zu gewinnen.
Soweit zur Forschung. Bleibt die Frage: Geben die Wissenstandsberichte des IPCC den Stand der Forschung überhaupt korrekt wieder?

Der IPCC-Prozess: Wissenschaft nach dem Vatikan-Prinzip?

„Was uns als Tatsachen, als harte Fakten verkauft wird, ist eine Ahnung, ein vielfacher Konjunktiv, ein Könnte, Möglicherweise, ein Wahrscheinlich und Vermutlich“, schrieb 2007 der Journalist Wolf Lotter in einem Kommentar im Wirtschaftsmagazin brand eins. Nicht der Wissenschaft galt dabei Lotters Argwohn – sondern den wissenschaftspolitischen Institutionen, die aus dem vermeintlichen „Möglicherweise“ der Forschung eine nicht hinterfragbare Tatsache ableiteten. „Der IPCC besteht aus vielen Forschern, mit recht unterschiedlicher Meinung und sehr unterschiedlichen Auffassungen über die Frage, ob der Mensch mehr oder weniger am Klimawandel beteiligt ist“, resümiert Lotter. Schon dass, via Konsens, aus vielen Meinungen eine gemeinsame Linie gebildet wird, erinnert ihn an Praktiken des Vatikan. Aber das eigentliche Problem sieht Lotter in der Kurzfassung des Berichts: „Wenn der IPCC-Konsensprozess der Forscher abgeschlossen ist, beginnt ein breit angelegter Redaktionsprozess, bei dem nicht mehr die Forscher, sondern die Politiker und Lobbyisten das Sagen haben.“30
Was ist dran an diesen Vorwürfen? Wie die Berichte des IPCC zustandekommen, ist kein Geheimnis. Der Prozess wird auf der Webseite des IPCC, aber auch anderswo ausführlich beschrieben31. Der IPCC gibt lediglich die Struktur der Berichte vor. Die Experten, welche als Autoren und Gutachter am Berichterstattungsprozess beteiligt sind, werden von den am IPCC beteiligten Regierungen und Organisationen ausgewählt. Auf der Basis der existierenden Forschungsliteratur verfassen Expertenteams dann Berichte zu den einzelnen Abschnitten. Die Berichte werden in einem mehrstufigen Verfahren begutachtet und überarbeitet. Statt autoritär verkündeter Einheitsmeinung à la Vatikan ist also vielmehr offene Kritik an der Tagesordnung.
Schlichtweg falsch ist die Behauptung, dass bei der Erstellung der Zusammenfassung Politiker und Lobbyisten ihre Hand im Spiel hätten. Richtig ist vielmehr, dass die Wissenschaftler aus den Arbeitsgruppen die Zusammenfassungen gemeinsam erstellen.
Trotzdem ist die Frage berechtigt: Geben die Zusammenfassungen die Berichte korrekt wieder? Dass sie es nicht tun, war im Zuge der so genannten Gletschergate-Affäre wiederholt behauptet worden. Damals wurde öffentlich, dass die Zahlen eines Teilberichtes sich nicht mit denen in der zitierten Literatur deckten. Liegt hier ein genereller Fehler vor? Die Sache lässt sich relativ leicht klären – und ist auch geklärt worden.

Es handelte sich um einen bloßen Zahlendreher. Aus der Prognose, dass die Gletscher des Himalaya bis zum Jahr 2350 geschmolzen sein würden, wurde so die Alarmmeldung, dass die Gletscher bereits 2035 verschwunden sein würden.

Beunruhigt durch den Schnitzer, hat – neben zahlreichen anderen Gremien – im Anschluss an den Gletschergate-Skandal die PBL Netherlands Environmental Assessment Agency den 2007 veröffentlichten Vierten Sachstandsbericht des IPCC (im Jargon „AR4“ genannt) in einem öffentlichen Verfahren auf mögliche Unstimmigkeiten bei den Zusammenfassungen hin akribisch untersucht. Das Ergebnis: kleine Fehler hier und da – aber keine groben Schnitzer und schon gar nicht systematische Verzerrungen der Art, wie der Journalist Lotter sie vermutete.32
Man kann sich also höchstens fragen, ob nicht schon die Notwendigkeit, sich auf einen Text zu einigen, mit dem alle beteiligten Wissenschaftler einverstanden sind, bereits einen problematischen Schritt darstellt. Dass der IPCC in dieser Form sozusagen von vornherein auf einen zu erlangenden Konsens abzielte, wurde denn auch verschiedentlich kritisiert.33 Ein Vorwurf lautet beispielsweise: Gruppen stimmen anders ab, wenn von vornherein klar ist, dass ein Konsens erzielt werden muss, als sie abstimmen würden, wenn am Ende die Mehrheit entscheidet oder wenn Verhältniszahlen veröffentlicht werden. Dementsprechend würde sich auch die Arbeit in den Autorenteams anders gestalten, wenn von vornherein feststünde, dass am Ende kein einstimmiger Bericht präsentiert wird, sondern einzelne Stimmen aus dem Team gesondert zu Wort kommen. (In Deutschland verfährt beispielsweise der Nationale Ethikrat mit seinen Stellungnahmen nach einem solchen Prinzip – und ist genau für diese Uneindeutigkeit verschiedentlich kritisiert worden.) Eine mögliche Konsequenz aus dem Bemühen um Konsens könnte übrigens auch darin bestehen, dass die Politik-Empfehlungen der IPCC-Reports zurückhaltender ausfallen, als es der Sachlage eigentlich entsprechen würde. Auch diese Befürchtung wird zuweilen geäußert.34

Abstrakt betrachtet, lässt sich der Vorwurf der 'Konsenfalle' wohl kaum bestreiten. Vermutlich ist das tatsächliche Meinungsspektrum breiter gestreut, als dies der Konsens des IPCC zum Ausdruck bringt. Dazu kann man nur sagen: Hoffentlich! Denn wenn es anders wäre und alle Wissenschaftler sich bis ins Detail einig wären, dann wäre die Arbeit des IPCC, der den Wissensstand zur Klimaforschung in einem aufwändigen Redaktionsprozess zusammenfasst, überflüssig und eine ärgerliche Ressourcenverschwendung. Und auch wenn die Berichte des IPCC am Ende von den Expertenteams gemeinsam, in diesem also konsensuell, verfasst werden: Wer sich einen solchen Bericht anschaut, sieht schnell, dass hier sehr ausführlich auf Unsicherheiten eingegangen wird, die aus unterschiedlichen Meinungen, aber auch aus anderen Unwägbarkeiten resultieren.35

Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten werden offengelegt

Die neueren Berichte des IPCC unterscheiden zwei verschiedene Formen von Unsicherheit: Wahrscheinlichkeit der Prognose und Zuverlässigkeit der Prognose.36 Für Wahrscheinlichkeits­aussagen verwendet der Bericht anstelle von Prozentangaben Begriffe wie „wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“. So heißt es zum Beispiel, dass die Temperaturen auf der nördlichen Erdhalbkugel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr wahrscheinlich (very likely) höher waren als in jeder anderen 50-Jahres-Periode in den vergangenen 500 Jahren und wahrscheinlich (likely) höher als in jeder anderen 50-Jahres-Periode in den vergangenen 1.300 Jahren. „Sehr wahrscheinlich“ ist dabei definiert als „mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent“, „wahrscheinlich“ als über 66 Prozent.
Angaben über die Zuverlässigkeiten hingegen betreffen die Sicherheit, mit der bestimmte Aussagen gemacht werden können. So ist zum Beispiel die Rede davon, dass der frühere Beginn des Frühlingsbeginns mit großer Zuverlässigkeit (high confidence) in Verbindung zur jüngsten Erderwärmung steht. Soll heißen: Die Chancen stehen acht zu zehn, dass der frühere Frühlingsbeginn in Verbindung zur jüngsten Erderwärmung steht.
Prinzipiell können beide Indikatoren auch miteinander kombiniert werden, in Form einer „zuverlässigen“ Aussage, dass ein Ereignis „sehr wahrscheinlich“ auftreten wird.
Solcherart Genauigkeit – wo sie denn möglich ist – hat einen großen Vorteil: durch die genaue Bezifferung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der Zuverlässigkeit einer Prognose ließe sich im Rahmen einer Risikokalkulation regelrecht ausrechnen, welche Handlungs­optionen im Sinne der Wohlfahrtsoptimierung rational geboten sind. Vereinfacht gesagt: Man braucht lediglich den durch das Ereignis zu erwartenden Schaden wie etwa die Überflutung einer Küstenregion, die Zerstörung eines Ökosystems oder langfristige Ernteausfälle mit allen zu erwartenden Folgeschäden in eine Euro- oder Dollarsumme zu übersetzen – und den Schaden dann mit der Gesamtwahrscheinlichkeit multiplizieren. Auf diese Weise ließen sich alternative Handlungsoptionen auf nachvollziehbare Weise miteinander vergleichen.37

Davon, dass unter Konsenszwang Argumente und Meinungen unter den Tisch gekehrt würden, ist all dies weit entfernt.38

Am Ende einer Gedankenreise: Wer kann beweisen, dass es das Ungeheuer von Loch Ness nicht gibt?

Wohin hat nun der Versuch geführt, mit Laienverstand und quasi von außen die Prognosen der Klimaforscher zu beurteilen? Nun: Auch wenn jeder einzelne Baustein in den Theorien der Klimaforschung angreifbar ist – bereits, dass eine Vielzahl voneinander unabhängiger Belege für die Existenz des menschengemachten Klimawandels sprechen, ist ein starkes Indiz dafür, dass der Trend der Forschung richtig liegt. Außerdem macht die Tatsache, dass nahezu die Gesamtheit der Experten vom menschengemachten Klimawandels überzeugt ist, dessen Existenz mehr als wahrscheinlich – selbst dann, wenn es Fälle gibt, in denen die Mehrheit der Experten eines Faches einmal geirrt hat. Vorwürfe, nach denen die IPCC-Berichte die Meinung der Experten nur ungenügend wiedergibt, konnten hingegen ausgeräumt werden. Was will man mehr? Sicherlich: Ein hundertprozentiger Beweis ist dies alles nicht. Aber den gibt es nicht einmal dafür, dass das Ungeheuer von Loch Ness nicht existiert.

  1. Kahan, Dan M., Donald Braman, Geoffrey L. Cohen, Paul Slovic, und John Gastil. „Who Fears the HPV Vaccine, Who Doesn’t, and Why? An Experimental Study of the Mechanisms of Cultural Cognition“. Law and Human Behavior, Vol. 34, 2010, S. 501-16 (http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1160654)
  2. Leute, die die Gefahren des Klimawandels skeptisch beurteilen, sagen zum Beispiel gern solche Dinge wie „Man muss nicht immer alles so schwarz sehen“. Ihrer Ansicht nach hat der Mensch schon immer mit den Widrigkeiten der Natur kämpfen müssen – und so erst die Zivilisation hervorgebracht. Der Klimawandel wird deshalb nur eine Herausforderung unter vielen sein. Andere verweisen darauf, wie die Politik den Bürger immer mehr gängelt – und wie hinter der wohlmeinenden politischen Fassade handfeste Interessen ihr Spiel treiben. Vgl. Wolf Lotter auf: Die Achse des Guten: „Richtigstellungen und Kommentare zum FAZ-Beitrag von Stefan Rahmstorf“. http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/print/003029. Zugegriffen am 23.09.2011. Archiviert von WebCite unter http://www.webcitation.org/61uLIjSTq. Vgl. auch: Ganteför, Gerd. Klima - Der Weltuntergang findet nicht statt. 1. Aufl. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 2010; Lomborg, Bjørn. Cool it!: Warum wir trotz Klimawandels einen kühlen Kopf bewahren sollten. 2. Aufl. Deutsche Verlags-Anstalt, 2008. Für Rezensionen zu Lomborg siehe Powell, James Lawrence. The Inquisition of Climate Science. Columbia University Press, 2011: 83 ff.
  3. Im Folgenden steht Kohlendioxid (chemisch: CO2) stellvertretend für die gesamte Gruppe der sogannenten Treibhausgase wie Methan, Lachgas, Fluorchlorkohlenwasserstoffe und Schwefelhexafluorid.
  4. http://www.computertechnik-schmidt.de/fehler/. Zugegriffen am 23.09.2011. Archiviert von WebCite unter http://www.webcitation.org/61uNg8YwC
  5. Kagan, Robert A., und Jerome H. Skolnick. „Banning Smoking: Compliance without Enforcement“. In Smoking policy: Law, Politics and Culture. Hg. von Robert L. Rabin und Stephen D. Sugarman, 1993. Vgl. auch Oreskes, Naomi, und Erik M. M. Conway. Merchants of Doubt: How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. Reprint. Bloomsbury Press, 201, S. 136 ff.
  6. In der ursprünglich veröffentlichten Version des Artikel (siehe Web Cite-URL, unten) wurde der Meeresspiegel-Forscher Simon Holgate mit den Worten zitiert: „'Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich der Meeresspiegel-Anstieg ausgerechnet in dem Jahr beschleunigt haben sollte, als Satelliten in Dienst gestellt wurden'. Vermutlich seien Unregelmäßigkeiten bei den Daten durch die Umstellung der Messinstrumente für den Unterschied verantwortlich.“ Der Passus wurde inzwischen vom Autor des Artikels zurückgezogen. Gleichwohl hält der Artikel fest: „[T]atsächliche Messungen des Meeresspiegels (…) lassen bislang keinen extremen Anstieg erkennen“. Bojanowski, Axel. „Uno-Report: Klimarat feilscht um Daten zum Meeresspiegel-Anstieg“. Spiegel Online, 14.07.2011. http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,774312,00.html. Zugegriffen am 23.11.2011. Archiviert von Web Cite unter http://www.webcitation.org/61uPq79Da
  7. Rahmstorf, Stefan. „SPIEGEL zum Meeresspiegel“. KlimaLounge, 15.07.2011. http://www.scilogs.de/wblogs/blog/klimalounge/klimadaten/2011-07-15/spiegel-zum-meeresspiegel. Zugegriffen am 23.09.2011. Archiviert von WebCite unter http://www.webcitation.org/61uQ3tfoC
  8. Wie ich inzwischen herausgefunden habe, gibt es ein solches Buch tatsächlich. Bad Science: A Resource Book, 1993 im Auftrag der Legacy Tobacco Documents Library erstellt, enthält Beispielfälle von erfolgreichen Anfechtungen wissenschaftlicher Erkenntnisse und eine Liste von Experten mit akademischer Reputation, die für Kommentare im Auftrag von Think Tanks oder Unternehmen bereits stehen. Vgl. Oreskes, Naomi, und Erik M. M. Conway. Merchants of Doubt: How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. Reprint. Bloomsbury Press, 2011, S. 144
  9. Die Parallele trägt stärker, als man denken sollte. Tatsächlich sind jene Akteure, die angetreten waren, um die Gesundheitsgefahren durch das Rauchen zu widerlegen, auch als Klimaskeptiker unterwegs – darunter der ehemalige Präsident der U.S. National Academy of Sciences, Frederick Seits. Vgl. Oreskes, Naomi, und Erik M. M. Conway. Merchants of Doubt: How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. Reprint. Bloomsbury Press, 2011: 5, 10; Bradley, Raymond S. Global Warming and Political Intimidation: How Politicians Cracked Down on Scientists As the Earth Heated Up. Univ. of Massachusetts Press, 2011; Powell, James Lawrence. The Inquisition of Climate Science. Columbia University Press, 2011.
  10. Kahan, Dan M. „Cultural Cognition and Public Policy“, Yale Law School Legal Scholarship Repository, 2006. http://digitalcommons.law.yale.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1102&context=fss_papers&sei-redir=1#search=%22cultural+cognition+of+risk%22; Nisbet, Matthew. „What’s Next for science communication? Promising directions and lingering distractions“. AJB 96 (2009): 1767-1778; Boykoff, Maxwell T, und Jules M Boykoff. „Balance as bias: global warming and the US prestige press“. Global Environmental Change 14, Nr. 2 (Juli 2004): 125-136
  11. Manning, Andrew C, und Ralph F Keeling. „Global oceanic and land biotic carbon sinks from the Scripps atmospheric oxygen flask sampling network“. Tellus B 58, Nr. 2 (April 1, 2006): 95-116; Wei, Gangjian, Malcolm T. McCulloch, Graham Mortimer, Wengfeng Deng, und Luhua Xie. „Evidence for ocean acidification in the Great Barrier Reef of Australia“. Geochimica et Cosmochimica Acta 73, Nr. 8 (April 15, 2009): 2332-2346; Swart, Peter K., Lisa Greer, Brad E. Rosenheim, Chris S. Moses, Amanda J. Waite, A. Winter, Richard E. Dodge, und Kevin Helmle. „The 13C Suess effect in scleractinian corals mirror changes in the anthropogenic CO2 inventory of the surface oceans“. Geophysical Research Letters 37 (März 12, 2010): 5 ff..
  12. Harries, John E., Helen E. Brindley, Pretty J. Sagoo, und Richard J. Bantges. „Increases in greenhouse forcing inferred from the outgoing longwave radiation spectra of the Earth in 1970 and 1997“. Nature 410, Nr. 6826 (März 15, 2001): 355-357; Griggs, J. A., und J. E. Harries. „Comparison of Spectrally Resolved Outgoing Longwave Radiation over the Tropical Pacific between 1970 and 2003 Using IRIS, IMG, and AIRS“. Journal of Climate 20 (August 2007): 3982-4001; Chen, Claudine, John Harries, Helen Brindley, und Mark Ringer. „Spectral signatures of climate change in the Earth’s infrared spectrum between 1970 and 2006“ (o. J.). http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/summary?doi=10.1.1.131.3867.
  13. Barnett, Tim P., David W. Pierce, Krishna M. AchutaRao, Peter J. Gleckler, Benjamin D. Santer, Jonathan M. Gregory, und Warren M. Washington. „Penetration of Human-Induced Warming into the World’s Oceans“. Science 309, Nr. 5732 (Juli 8, 2005): 284 -287.
  14. Alexander, L. V., X. Zhang, T. C. Peterson, J. Caesar, B. Gleason, A. M. G. Klein Tank, M. Haylock, u. a. „Global observed changes in daily climate extremes of temperature and precipitation“. Journal of Geophysical Research 111 (2006). http://www.knmi.nl/publications/showAbstract.php?id=706.
  15. Evans, W. F. J. Puckrin E. (2006, Measurements of the Radiative Surface Forcing of Climate. P1.7, AMS 18th Conference on Climate Variability and Change; Wang, Kaicun, und Shunlin Liang. „Global atmospheric downward longwave radiation over land surface under all-sky conditions from 1973 to 2008“. Journal of Geophysical Research 114 (Oktober 1, 2009): 12 PP.
  16. Braganza, K., D. Karoly, T. Hirst, M. E. Mann, P. Stott, R. J. Stouffer, and S. Tett (2003), Indices of global climate variability and change: Part I – Variability and correlation structure, Clim. Dyn., 20, 491-502; Braganza, K., D. J., Karoly, A. C. Hirst, P. Stott, r. J. Stouffer, and S. F. B. Tett (2004), Simple indices of global climate variability and change: Part II: Attribution of climate change during the twentieth century, Clim. Dyn., 22, 823-838
  17. Jones, Gareth S., Simon F. B. Tett, und Peter A. Stott. „Causes of atmospheric temperature change 1960–2000: A combined attribution analysis“. Geophysical Research Letters 30 (März 11, 2003): 4 PP; ; Mears, Carl A., und Frank J. Wentz. „Construction of the Remote Sensing Systems V3.2 Atmospheric Temperature Records from the MSU and AMSU Microwave Sounders“. Journal of Atmospheric and Oceanic Technology 26 (Juni 2009): 1040-1056.
  18. In der Literatur wird dieser Effekt vor allem unter dem Schlagwort „diversity“ diskutiert. Siehe z.B. Page, Scott E. The Difference: How the Power of Diversity Creates Better Groups, Firms, Schools, & Societies. New edition. Princeton University Press, 2008; siehe auch: Groetker, Ralf. „Schlaue Menge. Wer haette das gedacht: Der Durchschnitt ist cleverer als viele Experten. Aus mathematischen Gruenden.“ brand eins, 08/2008. http://www.brandeins.de/archiv/magazin/die-mitte/artikel/schlaue-menge.html.
  19. Ein bekanntes Beispiel für Informationskaskaden diskutiert James Surowiecki in seinem Buch „Die Weisheit der Vielen“ (2005): Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erlebten die Amerikaner den Boom einer Erfindung, die heute völlig in Vergessenheit geraten ist: den der Holzplankenstraße. Ein Ingenieur mit dem Namen George Geddes hatte sie erfunden. Eingeführt in Kanada im Jahre 1840, sollten Plankenstraßen die oft matschigen Verbindungs­wege zwischen den einzelnen Ortschaften befahrbar machen. Unternehmer, die sich den Bau von Plankenstraßen mit einem Straßenzoll bezahlen ließen, versprachen sich einen guten Gewinn. Innerhalb von wenigen Jahren schossen in den USA mehr als 1000 Firmen aus dem Boden, die sich auf den Bau von Plankenstraßen speziali­sierten, 352 allein in New York. Und alle waren sich einig: Plankenstraßen sollten mindestens acht, vielleicht auch zwölf Jahre halten. Auf dieser Grundlage hatte man alles kalkuliert. Als die ersten Plankenstraßen zu verrotten begannen, wurde die Malaise offensichtlich. Es hatten sich alle geirrt. Gerade mal vier Jahre hielten die Planken durch. Damit war der neue Transportweg jenseits der Grenze der Wirtschaftlichkeit. Holzplankenstraßen verschwanden ebenso schnell wieder, wie sie gekommen waren.
    Dass Kettenreaktionen dieser Art können vermieden werden, wenn Teilnehmer einer Wette oder einer Umfrage über unterschiedliche Informationen verfügen oder auch nur die gleiche Information unterschiedliche gebrauchen. Vgl. Soll, Jack B, und Richard P Larrick. „Strategies for revising judgment: how (and how well) people use others’ opinions“. Journal of Experimental Psychology. Learning, Memory, and Cognition 35, Nr. 03.05.2009: 780-805.
  20. Der Chicagoer Rechtsprofessor Cass Sunstein hat in einer Reihe von Studien die Ergebnisse von Diskussionen in Gruppen und Expertengremien damit verglichen, was herauskommt, wenn man, statt zu diskutieren, einfach die Statistik entscheiden lässt und abstimmt. Das frappierende Resultat: Anstatt dass in den Gruppen die Kraft des besseren Argumentes gemeinsame Entscheidungen bestimmte, findet eine Polarisierung statt, die das Ergebnis verdirbt. Extreme Positionen werden verstärkt statt ausgeglichen. Die Beobachtungen, so Sunstein, deuten darauf hin, dass Diskussionen unter Umständen ein schlechtes Instrument seien, um die innerhalb einer Gruppe verfügbaren Informationen zu nutzen. Sunstein, Cass R. Infotopia: How Many Minds Produce Knowledge. Oxford University Press, USA, 2006.
  21. Zu prüfen wäre hier genau genommen, in welchem Maße die These des menschenverursachten Klimawandels besser als andere Hypothesen in der Lage ist, die relevanten Daten zu erklären. Daraus ließe sich dann ein Wahrscheinlichkeitsgrad für die zur Diskussion stehende Hypothese ableiten. In der Wissenschaftstheorie wird diese Form der Hypothesenbestätigung unter dem Schlagwort 'Bayesianismus' diskutiert. Siehe: Carrier, Martin. Wissenschaftstheorie zur Einführung. 2. Aufl. Hamburg: Junius, 2008: 107-122.
  22. Vgl. Knight, J., et al., 2009. Do global temperature trends over the last decade falsify climate predictions? In: Peterson, T. C., and M. O. Baringer (eds), “State of the Climate in 2008” Special Supplement to the Bulletin of the American Meteorological Society, S. 90.
  23. Fawcett, Robert and David Jones, „Waiting for Global Cooling“. National Climate Centre, Australian Bureau of Meteorology. Melbourne, Australia, April 2008. http://www.aussmc.org/documents/waiting-for-global-cooling.pdf
  24. Vgl. Wycombe. „The Scientific Consens on Climate Change“, Ms., 2009. http://www.post-carbon-living.com/TTHW/Documents/Climate_Change_Consensus.pdf.
  25. Anderegg, William R. L., James W. Prall, Jacob Harold, und Stephen H. Schneider. „Expert credibility in climate change“. Proceedings of the National Academy of Sciences (Juni 21, 2010). http://www.pnas.org/content/early/2010/06/04/1003187107.abstract. Vgl. auch die Ergebnisse von Umfragen unter Wissenschaftlern: Doran, Peter T., und Maggie Kendall Zimmerman. „Examining the Scientific Consensus on Climate Change“. Eos 90, Nr. 3 (Januar 20, 2009): P. 22.
  26. In Nov 2009, kurz vor der wichtigsten Konferenz in Kopenhagen, wurden rund 1000 private Emails von Wissenschaftlern der Climate Research Unit der Uni East Anglia illegal veröffentlicht. Vermutlich war es die Absicht der Aktion zu zeigen, dass IPCC-Forscher Daten gefälscht und die Veröffentlichung nicht genehmer Untersuchungen verhindert hätten. Untersuchungen im Nachhinein gelangten zwar zu dem Schluss, dass die Vorwürfe nicht stichhaltig seien. Medienanalysen zeigen jedoch, dass das Ereignis „Climategate“ vor allem in englischsprachigen Medien zu einem Umschwung in der Berichterstattung geführt hat. Vgl. Pearce, Fred. The Climate Files: The Battle for the Truth About Global Warming. Trade Paperback. Guardian Books, 2010.
  27. Black, Richard. „BBC News - Climate science: Sceptical about bias“, 2007. http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/7092614.stm. Zugegriffen am 25.10.2011. Archiviert von Web Cite unter http://www.webcitation.org/61zBEGAyE
  28. Vgl. z.B. Tuewsen, Peer: „'Es braucht ein neues Finanzsystem'. Zwei ETH-Wissenschaftler erklären, warum die Weltwirtschaft krank ist, Adam Smith unrecht hatte – und wir ganz anders über Geld nachdenken müssen“. Die Zeit, 15.08.2011, http://www.zeit.de/2011/33/CH-Oekonophysik. Zugriff: 19.10.2011. Archiviert von Web Cite unter http://www.webcitation.org/62Y1HpbwK
  29. Vgl. Weart, Spencer R., Margaret Jacob, und Harold J. Cook. The Discovery of Global Warming. Illustrated edition. Harvard University Press, 2003; Beck, Silke. Das Klimaexperiment und der IPCC: Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik in den internationalen Beziehungen. 1. Aufl. Metropolis, 2009; Gramelsbergerg, Gabriele, und Johann Feichter. „Modelling the Climate System: An Overview“. In Climate Change and Policy. The Calculability of Climate Change and the Challenge of Uncertainty, Heidelberg, Dordrecht u.a.: Springer, 2011, 9-20
  30. Lotter, Wolf. „Zweifel im Klimakterium“. brand eins 03/2007, S. 24-26. Die Vorwürfe folgen der Kritik, welche der MIT-Meteorologe Richard Lindzen und zeitweiliger Lead-Autor eines IPCC-Teilberichtes 2001 vor dem US. Senate Commerce Committee öffentlich gemacht hatte. Zur Diskussion um die Kritik siehe: Petersen, Arthur L. „Climate Simulation, Uncertainty, and Policy Advice - The Case of the IPCC“. In Climate Change and Policy. The Calculability of Climate Change and the Challenge of Uncertainty, Heidelberg, Dordrecht u.a.: Springer, 2011, S. 91-112, hier: 103.
  31. http://www.ipcc.ch/pdf/ipcc-principles/IPCC%20Procedures.pdf; PBL Netherlands Environmental Assessment Agency. „Assessing an IPCC assessment. An analysis of statements on projected regional impacts in the 2007 report - PBL Netherlands Environmental Assessment Agency“, 2010. http://www.pbl.nl/en/publications/2010/Assessing-an-IPCC-assessment.-An-analysis-of-statements-on-projected-regional-impacts-in-the-2007-report, S. 28
  32. PBL Netherlands Environmental Assessment Agency. „Assessing an IPCC assessment. An analysis of statements on projected regional impacts in the 2007 report - PBL Netherlands Environmental Assessment Agency“, o. J. http://www.pbl.nl/en/publications/2010/Assessing-an-IPCC-assessment.-An-analysis-of-statements-on-projected-regional-impacts-in-the-2007-report.
  33. Goodwin, Jean. „The authority of the IPCC First Assessment Report and the manufacture of consensus“, 2009. http://goodwin.public.iastate.edu/pubs/goodwinipcc.pdf.; Hulme, Mike. „How to report a scientific consensus – impartially“, Ms., 2011. http://mikehulme.org/2011/08/how-to-report-a-scientific-consensus-impartially/; Zugriff: 19. 10.2011. Archiviert von Web Cite unter http://www.webcitation.org/62Y2KlrL7; Hulme, Mike, und Martin Mahoney. „Climate Change: What do we know about the IPCC?“ Progress in Physical Geography (2010). http://www.probeinternational.org/Hulme-Mahony-PiPG%5B1%5D.pdf.
  34. Vgl. Fischer, Douglas. „Evidence builds that scientists underplay climate impacts — The Daily Climate“. Dailyclimate.org, 18..10.2011. http://wwwp.dailyclimate.org/tdc-newsroom/2011/10/climate-alarmism. Zugriff: 19. 10.2011. Archiviert von Web Cite unter http://www.webcitation.org/62Y2wDMIE
  35. Dass die Erkenntnisse der Klimaforschung mit Unsicherheit behaftet sind, geht vor allem auf drei Faktoren zurück: die Wirkung der Aerosole auf Erdoberflächentemperatur; die Veränderung der Wolken durch höhere Temperatur und das Verhalten der verschiedenen CO2-Speicher. Vgl. Neu, Urs: Klimadiskussion – die Erde im Treibhaus, in: Gebhard, Hg., Globaler Umweltwandel – Globalisierung – Globale Ressourcenknappheit <im Erscheinen?>, S. 33. Zur strukturellen Analyse der verschiedenen Formen von Unsicherheit, welche insbesondere im Kontext der Verfahren von Klimasimulationen und Modllierungen entstehen vgl. Gramelsbergerger, Gabriele, und Johann Feichter. „Modelling the Climate System: An Overview“. In Climate Change and Policy. The Calculability of Climate Change and the Challenge of Uncertainty, Heidelberg, Dordrecht u.a.: Springer, 2011, 9-91, hier: 66.
  36. s. Box zu Treatment of uncertainty: http://www.ipcc.ch/publications_and_data/ar4/syr/en/mainssyr-introduction.html#footnote1 sowie Guidance Notes for Lead Authors of the IPCC Fourth Assessment Report on Adressing Uncertainties, http://www.ipcc.ch/meetings/ar4-workshops-express-meetings/uncertainty-guidance-note.pdf
  37. Eine gute Einführung zum Thema bietet Rescher, Nicholas. Risk: A Philosophical Introduction to the Theory of Risk Evaluation and Management. University Press of America, 1983. Zur Kalkulation von Risiken, die mit Extremereignissen wie dem Klimawandel einhergehen siehe: Posner, Richard A. Catastrophe: Risk and Response. New Ed. Oxford University Press, 2006.
  38. Allerdings wird gegen den eingeschlagenen Weg des Umgangs mit Unsicherheiten ein weiterer Vorwurf erhoben: Kritiker geben zu bedenken, dass die Bezifferung von Wahrscheinlichkeit und Zuverlässigkeitsgrad der Prognosen eine größere Präzision vorgaukelt, als die Daten hergeben (wobei häufig dieselben Kritiker eine solche Bezifferung zuvor verlangt hatten). Gleiches gilt selbstredend für die Kalkulation der mannigfaltigen Schäden, die direkt oder indirekt durch den Klimawandel verursacht werden. Mehr noch: die Wahrscheinlichkeitsangaben, so einige Kritiker, beruhten letztendlich auf bloß subjektiven Einschätzungen, weil die verfügbare Datenlage einfach kein präzises Urteil zuließe. Subjektive Einschätzungen als harte Zahlen zu verkaufen, verletze jedoch die Prämisse demokratischer Politikberatung, derzufolge die Forschung für die Lieferung von Fakten, die Politik aber für deren Bewertung und die daraus abgeleiteten Entscheidungen zuständig sei. Darüber, ob diese Kritik zutrifft, kann man gewiss streiten Wenn sie zutrifft, dann sollte man in der Tat überlegen, ob es nicht doch besser wäre, wieder auf Wahrscheinlichkeitsangaben in den IPCC-Sachstandsberichten zu verzichten. Die Alternative wäre allerdings, anstelle mehr oder weniger „wahrscheinlicher“ Szenarien alle möglichen Szenarien als relevant in Betracht ziehen – alle Szenarien, die unter Verwendung der üblichen Modelle nicht ausgeschlossen werden können.Vgl. Betz, Gregor. „Probabilities in climate policy advice: a critical comment“. Climatic Change 85 (08.08.2007): 1-9; Risbey, James S. „Subjective elements in climate policy advice“. Climatic Change 85 (24.08.2007): 11-17. Siehe auch: Lemos, Maria Carmen, und Richard B Rood. „Climate projections and their impact on policy and practice“. Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change 1, Nr. 5 (01.09.2010): 670-682.