Friederike Otto und ihrem Team gelingt, woran die Klimaforschung früher scheiterte: schnell zu sagen, ob es tatsächlich eine Verbindung zwischen dem Klimawandel und einzelnen extremen Wetterereignissen gibt. Ob also einzelne Hitzewellen, Starkregen, Stürme und Dürren durch die Klimakrise verschlimmert worden sind – und wenn ja, wie sehr. Selbst für Waldbrände, die ja an sich keine Extremwetter darstellen, aber durch Hitze und Trockenheit begünstigt werden können, haben sie einen solchen Zusammenhang schon belegt.

Attributions- oder Zuordnungsforschung wird Ottos Zweig der Klimawissenschaften genannt. Es ist noch eine recht junge Disziplin , die vor allem mit Modellsimulationen und statistischen Analysen arbeitet. Otto hat maßgeblich zu ihrer Entwicklung beigetragen. Gemeinsam mit anderen hat sie im Jahr 2014 die World Weather Attribution Initiative (WWAI) gegründet. Bis vor kurzem wurde die WWAI vor allem von Otto und ihrem Kollegen Geert Jan van Oldenborgh vorangetrieben, einem niederländischen Klimaforscher, der im Oktober 2021 an Krebs starb. Bis zum Schluss hatte Oldenborgh geforscht. Kurz vor seinem Tod waren er und Friederike Otto vom US-Magazin Time unter die 100 einflussreichsten Menschen des Jahres gewählt worden.

Seit sie die WWAI gründeten, ist Otto zu einer der prominentesten Klimaforscher:innen weltweit geworden. Weil Extremwetter im Zuge der Erderwärmung häufiger und heftiger auftreten, gibt es immer öfter einen Anlass, sie und ihre Kolleg:innen um eine Einschätzung zu bitten. Und mit ihrer Arbeit bewegen sie sich sehr nah am Alltag der Menschen. „Der Klimawandel manifestiert sich durch das Wetter“, sagt Otto. Das sei viel leichter zu begreifen als die Rede von einer durchschnittlichen Erwärmung um ein, zwei oder drei Grad Celsius.

 

»Über das Wetter kann ich Geschichten zum Klima erzählen.
Aber dazu brauche ich eine wissenschaftliche Grundlage«
Karsten Schwanke

 

Wie hängen Klima und Wetter zusammen? Auch Karsten Schwanke hört diese Frage oft. Kein Wunder, sagt der Meteorologe, Wissenschaftsjournalist und Wettermoderator: „Wir erleben die Klimakrise eins zu eins über das tägliche Wetter. Dazu haben wir eine emotionale Beziehung, darüber kann man die Leute packen. Und über das Wetter kann ich Geschichten zum Klima erzählen. Aber dazu brauche ich natürlich eine wissenschaftliche Grundlage.“

Meist allerdings hat er für seine Geschichten wenig Zeit. Der klassische TV-Wetterbericht, beispielsweise nach den Tagesthemen, dauert oft nur anderthalb oder zwei Minuten. In Wetter vor acht bekommt er, wenn die Sendung lange dauert, vielleicht viereinhalb Minuten. Das heißt: Schwanke muss schnell sein, direkt, selbst wenn er komplexe Zusammenhänge erklärt – und die Fakten müssen auch in der größten Eile stimmen. „Cool zu bleiben, wenn die Uhr runterzählt, und die Dinge, die man sagen will, korrekt zu Ende zu bringen: Das ist gar nicht trivial.“

Für Otto und Schwanke ist es Teil ihres Alltags, über Wetter und Klima zu reden. Doch sie nehmen dabei verschiedene Rollen ein – und das hat Folgen für die Art, wie sie kommunizieren. Die Klimawissenschaftlerin Otto betreibt ganz bewusst eine Art von Forschung, die politisch relevant und praktisch verwertbar sein soll. Und der Wissenschaftsjournalist und Wettermoderator Karsten Schwanke präsentiert ganz bewusst eine Art von Wetterbericht, die solch alltagsnahe Klimaforschung aufgreift und für das breite Publikum verständlich aufbereitet.

Ottos Arbeit kann die wissenschaftliche Grundlage liefern, die Schwanke braucht. Zum Beispiel im Fall der extremen Regenfälle, die im vergangenen Sommer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie in Teilen Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande zu verheerenden Sturzfluten führten.

"Messbar ist der Klimawandel schon lange, aber spätestens seit 2018 auch für jeden sichtbar: aus dem Klimawandel ist die Klimakrise geworden. Die Dürre der letzen Jahre hat unseren Wäldern zugesetzt und es ist zu befürchten, dass wir am Ende dieses Jahrhunderts keine gesunden Wälder mehr in Deutschland haben werden. Doch nicht alle Veränderungen sind heute schon so sichtbar wie das Waldsterben – eine Herausforderung für die Klimakommunikation. Das größte Problem besteht darin, den Menschen zu vermitteln, dass wir heute gewaltige Veränderungen angehen müssen, um zukünftige katastrophale Folgen in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten zu verhindern."
Dipl.Met. Karsten Schwanke (Jahrgang 1969) – Nach einer Berufsausbildung zum technischen Assistenten für Meteorologie in Potsdam studierte er Meteorologie in Berlin und Hamburg. Seitdem arbeitet er als freiberuflicher Meteorologe, als Wissenschaftsjournalist und Moderator für verschiedene Medien. Das Bild entstand im November 2020 im Arnsberger Wald nahe der Möhnetalsperre; Foto: Dr. Andreas Pohlmann 714

Schwanke war im Dienst, als die Flut das Ahrtal zerstörte. „Ich wurde in etlichen Sondersendungen immer wieder gefragt, wie groß der Anteil des Klimawandels an der Katastrophe sei“, sagt er – also noch während die Katastrophe gerade vor aller Augen geschah. „Natürlich bin ich erfahren genug, um das ganz allgemein beantworten zu können. Also: Die Luft wird wegen des Klimawandels wärmer. Warme Luft nimmt mehr Feuchtigkeit auf als kalte. Damit steigt das Risiko, dass es zu ungewöhnlich starken Niederschlägen kommt.“

Aber er möchte seinem Publikum gern präzisere Erkenntnisse liefern. Wenn er sich dabei auf aktuelle Wissenschaft stützen könne, sagt er, dann sei das natürlich „enorm hilfreich“. Otto freut sich über sein Interesse, denn: die WWAI sei einst unter anderem dafür gegründet worden, um Wettermoderator:innen mit besseren Informationen zu versorgen. „Schön zu sehen, wenn das funktioniert.“

Nach der Flut im Ahrtal begann die WWAI zügig damit, zu untersuchen, ob und wie sehr sich die Intensität und Häufigkeit starker Regenfälle in einer größeren Region Westeuropas („anywhere in Western Europe in a large region between the north of the Alps and the Netherlands“) durch den Klimawandel verändert habe. Am 23. August 2021, keine sechs Wochen später, gewissermaßen ein Augenblick in der Welt der seriösen Wissenschaft, präsentierte sie ihre Ergebnisse: Durch die bereits heute gemessene Erhitzung der Erde seien die für die Überschwemmungen ursächlichen Starkregenereignisse um 3 bis 19 Prozent heftiger geworden und 1,2- bis 9-mal wahrscheinlicher. Man könne ziemlich sicher sagen („[with] high confidence“), dass solche ungewöhnlichen Niederschläge durch den Klimawandel häufiger und intensiver vorkämen. „Und diese Veränderungen werden in einem sich schnell erwärmenden Klima weiter voranschreiten.“

Im Sommer 2018 sei ihm so richtig klar geworden, wie weit fortgeschritten die Klimakrise schon ist, erinnert sich Schwanke – und wie dringlich es wäre, entschlossener zu handeln. Denn der Sommer 2018 war besonders lang, heiß und trocken. In Kalifornien brannten die Wälder der berühmten Nationalparks. Nord- und Mitteleuropa ächzten unter Gluthitze. In Schweden setzte sich Greta Thunberg mit einem Pappschild vors Parlament. In Deutschland verdorrten den Bauern die Ernten; auf den Flüssen musste die Schifffahrt zeitweise eingestellt werden, allein BASF mit seinem Stammsitz am Rhein in Ludwigshafen meldete aufgrund des Niedrigwassers 250 Millionen Euro Verluste. Auch die folgenden Jahre waren zu trocken; und obwohl es 2021 wieder mehr regnete, haben sich die Böden in Teilen Deutschlands immer noch nicht von der Dürre erholt. Der Wald leidet bis heute. Um ihn macht sich Schwanke seither besonders Sorgen.

Das Jahr 2018 war – wie auch 2019 – geprägt von sogenannten blockierenden Wetterlagen, die außergewöhnlich lange anhielten. 2018 habe ihn „wachgerüttelt“, erinnert sich Schwanke. „Ich habe im Studium noch gelernt: In Europa verändern sich stabile Wetterlagen alle sechs Wochen. Und das war plötzlich nicht mehr so. Ich habe gemerkt, dass sich da etwas ganz grundlegend verschoben hatte.“

In seiner Sendung Wetter vor acht erklärte er im November 2018, wie Hitze, Trockenheit und Klimawandel zusammenhingen; so einleuchtend, dass das Video im Internet viral ging. Schwanke wurde damit für den Grimme-Preis nominiert. Warum sich ausgerechnet dieses Video so sehr verbreitete? „Ich glaube, es war einfach die richtige Erklärung zur richtigen Zeit“, sagt der Moderator. „Wir hatten so etwas auch vorher schon häufig gemacht, aber 2018 war einfach ein außergewöhnliches Jahr.“

Die WWAI-Forscher:innen analysierten die 2018er Hitze in Skandinavien, während sie noch anhielt. Das Ergebnis: Der menschengemachte Klimawandel hatte sie wahrscheinlicher gemacht, und mit fortschreitender Erderwärmung würden vergleichbare Hitzewellen künftig weniger außergewöhnlich sein. Greta Thunberg begann also nicht ohne Grund ausgerechnet in diesem Jahr ihren Protest – es war auch in ihrer Heimat wirklich ein außergewöhnliches Jahr.

Schon im Jahr zuvor hatte es in Europa ebenfalls eine Hitzewelle gegeben, dieses Mal im Mittelmeerraum. Die WWAI hatte auch sie untersucht und war zu dem Schluss gekommen, dass auch hier der Klimawandel eine Rolle spielte. Der Guardian habe damals auf seiner Titelseite berichtet, die New York Times die erste Seite des Wissenschaftsteils freigeräumt, erinnert sich Otto. Es war das erste Mal, dass ihre Arbeit so viel Aufmerksamkeit erhielt.

 

»Den Preis für den Klimawandel zahlen diejenigen,
die am wenigsten Emissionen verursacht haben«
Friederike Otto

 

Otto möchte politisch relevante Forschung machen – „also Forschung, die Politikern hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen“, wie sie sagt. In ihrem Buch Wütendes Wetter schreibt sie, dass sie das Forschungsgebiet der Attributionsforschung bewusst gewählt habe, um das Interesse einer breiten Öffentlichkeit bedienen zu können – und darüber das Interesse für die Klimakrise zu wecken. Dabei treibt sie auch das Streben nach mehr Gerechtigkeit an. „Den Preis für den Klimawandel zahlen diejenigen, die am wenigsten Emissionen verursacht haben“, sagt sie. „Die am verwundbarsten sind. Nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in Deutschland und Europa. Aber das ist keine Gesellschaft, in der ich leben möchte.“ Also versucht sie, daran etwas zu ändern.

Inzwischen ist die Attributionsforschung längst etabliert. Im aktuellen IPCC-Report spielt sie eine ganz wesentliche Rolle: Otto war eine der Leitautorinnen von Kapitel 11 in Band 1, schrieb darüber hinaus an der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Summary for Policy Makers) mit und gehört auch zum Kernteam der Autor:innen des Syntheseberichts des gesamten Sechsten Sachstandsreports, der im September 2022 veröffentlicht werden soll.

Kurz bevor der erste Band des Reports im August 2021 erschien, waren das Ahrtal und benachbarte Regionen überschwemmt worden. Wie erwähnten entschieden die Wissenschaftler:innen der WWAI damals schnell, sich mit der Flut zu befassen. Doch zuvor mussten sie genau definieren, worin das extreme Ereignis überhaupt bestand. „Das ist immer eine der schwierigsten Aufgaben“, sagt Otto. „Nehmen wir die Regenfälle innerhalb eines Tages als Grundlage für unseren Vergleich, oder die Menge, die innerhalb von zwei Tagen gefallen ist? Wie groß ist die Region, für die wir uns die Wetterdaten anschauen? Gibt es vielleicht lokale Gegebenheiten, die dazu geführt haben, dass es zu so großen Schäden kam?“

Schwanke findet als Meteorologe solche Fragen hochinteressant. Für dieses Porträt treffen er und Otto sich via Videokonferenz erstmals persönlich. Nach kürzester Zeit befinden sie sich mitten in einer angeregten Methodendiskussion.

Schwanke: Ich habe mir wirklich die Daten angeschaut, Stunde für Stunde. Wenn diese 150 Liter auf 48 Stunden verteilt gefallen wären, dann hätte es keine Katastrophe gegeben. Aber sie fielen innerhalb von 14 Stunden. Davon waren es eigentlich nur drei, vier Stunden, die den eigentlichen Peak gebracht haben. Und dann spielt auch noch die Geographie eine wichtige Rolle. Das Ahrtal ist felsig, da kann wenig Wasser versickern…

Otto: Oh ja, absolut. Damit haben Sie gerade meinen Punkt bestätigt, wie wichtig es ist, das Extremwetterereignis korrekt zu definieren. Um das herauszufinden, sind wir immer stark auf lokale Expertise angewiesen. Aber wir müssen eben auch standardisierte Zeiträume als Vergleichsbasis nutzen. Denn nur so haben wir Daten, die wir analysieren können.

Schwanke: Ja.

Otto: Insofern ist die Frage: Erzählen die standardisierten Zeiträume uns noch genug über das Ereignis, oder nicht? Das ist ein schwieriges Abwägen. Deshalb arbeiten wir auch immer mit ganz vielen unterschiedlichen Leuten zusammen. Weil wir diese lokale Expertise brauchen.

Erzählt uns das, was wir untersuchen, noch genug über die Realität? Diese Frage prägte schon Ottos Doktorarbeit in Philosophie, die sie schrieb, nachdem sie ihr Diplomstudium der Physik abgeschlossen hatte. In der Arbeit beschäftigte sie sich mit der erkenntnistheoretischen Frage, was man überhaupt aus Klimamodellen lernen könne – und was eben nicht. Ein Beispiel: „Wenn die Parameter im Modell unphysikalisch sind, etwa die Wassertropfen in den Wolken unmöglich groß, können wir bei der Analyse des simulierten Niederschlags trotzdem etwas über die echte Welt lernen?“

Klimamodelle, sagt Otto, sagen zunächst einmal nur etwas über die modellierte Welt aus. Ob wir aus ihnen auch etwas über die Realität lernen können, hängt von vielen Aspekten ab, die alle bedacht werden müssen.

Das Motiv zieht sich durch ihre ganze Arbeit. Ihr erstes wissenschaftliches Paper, erinnert sie sich, sei entstanden, weil sie über zwei klimawissenschaftliche Studien gestolpert sei, die das gleiche Phänomen untersuchten – aber dabei auf den ersten Blick zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kamen. „Ich habe die beiden Untersuchungen nebeneinandergelegt und sie mir genauer angeschaut. Sie waren beide korrekt! Sie gingen einfach von ganz verschiedenen Fragestellungen aus.“

"Der Klimawandel wird nicht die Menschheit ausrotten oder die Welt für Menschen weitestgehend unbewohnbar machen, aber mit jedem Extremwetterereignis, das ohne den Klimawandel weniger Zerstörungskraft hätte, mit jedem Zentimeter Meeresspiegelanstieg mehr verstärkt der Klimawandel bestehende Ungleichheit in der Welt und macht Fortschritte in der Verbesserung der Lebensqualität vieler Menschen zunichte. Der Klimawandel zerstört Menschenleben und Lebensgrundlagen – aber eben nicht die ›reicher, weißer Männer‹. Und das ist sicher einer der Gründe, dass der Klimawandel uns, als Weltgemeinschaft, bisher relativ egal war. ... Gerechtigkeit (justice, equity) ist damit Problem und Lösung des Klimawandels. Wissenschaft darf daher nicht nur im Schaffen von Fakten bestehen, sondern muss diese auch interpretieren, kommunizieren und in alle Diskurse einbringen."
Dr.phil. Friederike E. L. Otto (Jahrgang 1982) studierte Physik (Diplom) und Philosophie (Promotion) an der FU Berlin. Von 2017-2021 leitete sie das Environmental Change Institute der Universität Oxford. Seit Ende 2021 lehrt und forscht sie am Grantham Institute am Imperial College in London. Die Aufnahme des Fotografen Andreas Pohlmann entstand im November 2021 am Südufer der Themse, nahe des Thames-Barrier-Bauwerkes im Südosten der Stadt. Es ist mit 520 Metern Breite eines der weltweit größten Sturmflutsperrwerke (Bauzeit 1974–1984); Foto: Pohlmann 714

Verständnis dafür zu wecken, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert, ist der Forscherin ein wichtiges Anliegen. Eine möglichst klare und präzise Sprache, auch über die Grenzen der Fachdisziplin hinweg, ein zentrales Instrument. „Man muss erklären, wie man zu Ergebnissen kommt“, sagt sie. „Ich finde es unglaublich wichtig, dass das mehr Menschen verstehen, dass hinter Experimenten immer bestimmte Annahmen stecken. Und dass die Ergebnisse von Studien immer davon abhängen, welche Annahmen man trifft, welche Methoden man anwendet, und wie man die Ausgangsfragen formuliert.“

Erst wenn sie ihre Ausgangsfrage hinreichend geklärt haben, beginnen das WWAI-Team um Otto damit, zu rechnen. Mithilfe von Computermodellen vergleichen sie die Geschehnisse in der derzeit realen Welt – also einer Erde im Klimawandel – mit den hypothetischen Verhältnissen auf einem Planeten, dessen Atmosphäre nicht durch einen steigenden Kohlendioxidgehalt aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Dabei gehen sie streng nach etablierten, standardisierten Methoden vor, die bereits einen peer-review-Prozess durchlaufen haben. So können sie verlässliche Ergebnisse veröffentlichen, noch bevor diese selbst im (zeitaufwändigen) peer-review  geprüft wurden. Und genau dieses Tempo ist wichtig für das Interesse der breiten Öffentlichkeit. Umso wichtiger sei eine klare, transparente Kommunikation, sagt Otto. „Und wir prüfen nachträglich, ob wir unter Einbeziehung neuerer Daten oder Verwendung anderer Modelle zu grundsätzlich anderen Ergebnissen kommen. Bisher war das noch nie der Fall.“

Etwa eine Woche braucht die WWAI, um eine Hitzewelle zu untersuchen. An Waldbränden – bei denen die Definitionsfragen besonders schwer zu klären sind – arbeiten sie schon einmal zwei Monate lang.

 

»Wissenschaft darf nicht nur im Schaffen von Fakten bestehen, sondern muss diese auch interpretieren, kommunizieren und in alle Diskurse einbringen«
Friederike Otto

 

Seit dem Hitzesommer 2018 flicht Schwanke in seine Wetteransagen besonders häufig Passagen zum Klimawandel ein. Er ist nicht der einzige TV-Mann, der das tut. Auch seine Kollegen Özden Terli vom ZDF und Markus Wadsack vom ORF warnen engagiert vor der Klimakrise.

In den USA gehörten Wettermoderator:innen zu den „wirkungsvollsten und vertrauenswürdigsten Vermittlern von Klima-Bildung im Land“, berichtet das auf Klima- und Gerechtigkeitsfragen spezialisierte Onlineportal Grist. Ein Grund dafür sei, dass die Moderator:innen über lokal relevante, beispielsweise für Farmer wichtige Wetter- und Klimaphänomene berichten. Und viele Rückmeldungen seien positiv. Wissenschaftliche Studien aus den USA bestätigen, wie TV-Wettermoderator:innen dazu beitragen können, dass das Publikum ein besseres Verständnis für den Klimawandel entwickelt.

Den deutschen Wettermoderatoren Schwanke und Terli aber brachte ihre Arbeit im Wahlkampfjahr einen Angriff der Bild ein. „Machen Wetterfrösche Wahlkampf mit Klima?“ fragte die Zeitung rhetorisch. Der kaum verhohlene Vorwurf: Wer beim Wetter über den Klimawandel spreche, werbe für die Grünen.

Schwanke hält das für „hochgradigen Blödsinn“ – und auch für gefährlich. Er fürchtet, „dass bei vielen Leuten, und auch bei manchen Redaktionen, doch etwas hängenbleiben kann“. Und dass in der Folge weniger über Klima geschrieben oder gesendet werde.

 

»Jeder Tag, an dem wir nicht handeln,
ist ein verlorener Tag«
Karsten Schwanke

 

Dabei könne man gar nicht deutlich genug über die Klimakrise berichten. Ganz ohne zu dramatisieren, sagt Schwanke. „Die Fakten klar zu benennen, reicht ja völlig aus. Und jeder Tag, an dem wir nicht handeln, ist ein verlorener Tag.“ Er wünscht sich mehr Inhalte mit Klimabezug im ARD-Hauptprogramm. Mehr Berichterstattung darüber, wie die Klimawende zu schaffen sei. Und er unterstützt die Forderung nach mehr Klimaberichterstattung im Ersten..

Das britische Äquivalent zur Bild sei die Daily Mail, sagt Otto. Sie lebt seit elf Jahren im Vereinigten Königreich, ist britische Staatsbürgerin, hat lange in Oxford geforscht, seit kurzem lehrt sie am Imperial College in London. Die britische Boulevardpresse gilt als besonders schrill und unbarmherzig. „Die Daily Mail verbreitet sehr viele Lügen“, sagt Otto. „Aber sie wird auch von sehr vielen Menschen gelesen.“ Deshalb rede sie auch mit dieser Redaktion. „Das sind mit Abstand die anstrengendsten Interviews. Aber bisher hat die Daily Mail immer korrekt über die Forschung berichtet, die ich mache.“

Wenn die beiden einen Tag miteinander tauschen könnten, wie würden sie die Zeit nutzen? „Ich möchte lieber nicht tauschen“, sagt Otto. „Ich habe nie Meteorologie gelernt. Aber wenn doch, würde ich darstellen, dass die Auswirkungen des Klimawandels heute schon hohe, hohe Kosten verursachen. Viel mehr als Klimaschutz. Aber das in einem Wetterbericht unterzubekommen, ist natürlich schwierig.“

Schwanke: Vor allem in einem von nur zwei Minuten Länge.

Otto: Und gleichzeitig noch zu erzählen, wie das Wetter wird!

Schwanke: Wenn ich tauschen könnte, würde ich mir das Ahrtal anschauen und fragen: Okay, wenn die Welt sich jetzt um ein weiteres halbes Grad erwärmt, oder auch nur ein Zehntelgrad. Was passiert dann? Welche Auswirkungen könnte das im Ahrtal haben? Das fände ich interessant, auch um den Weg nach vorne zu zeigen.

Otto: Das ist eine interessante Forschungsfrage. Wir untersuchen oft, wie die Auswirkungen einer Erwärmung um zwei Grad wäre. Aber zu Zehntelgraden gibt es noch so gut wie nichts.

Schwanke: Dann bleiben wir dran!

Alexandra Endres

In Teil 1 unserer Serie über Klimaforschung und öffentliche Kommunikation haben wir
Brigitte Knopf und Stefan Rahmstorf porträtiert, in Teil 2 Hartmut Graßl und Elena-Maria Vorrath.

Transparenzhinweis: Friederike Otto ist auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von klimafakten.de